Langsam ziehen die Straßenzüge von Revere an Jazz vorbei. Sie ist froh, dass Grid Guide immer noch den Dienst verweigert. So fühlt sich fahren wirklicher an. Sie hat das Gefühl noch nie gemocht, sich von einer KI oder was auch immer herumfahren zu lassen. Sie will sich nicht ausgeliefert fühlen.
Neben ihr auf dem Beifahrersitz hält Holliday die Augen geschlossen. Er war die halbe Nacht im Hub umher getigert und hatte darauf gewartet, dass die anderen heil zurückkamen. Jazz streichelt seinen Oberschenkel was er mit einem kurzen Druck ihrer Hand beantwortet und lächelt.
Daisy und Doyle hatten recht, Revere nördlich des Knight Errant Sitzes sieht wild aus. Autos sind umgestoßen, Fenster zerstört. Die Adresse zu der Keziah sie geschickt hat, war vor dem Lockdown ein recht schickes Hotel. Das Four Points Sheraton.
Hinter ihnen auf dem Rücksitz des Musclecars raschelt es laut.
“Wie lange seid ihr jetzt eigentlich schon ein Paar?!” Mara kaut laut knuspernd ein paar Chips, was Holliday dazu bringt sich zu ihr umzudrehen um zu prüfen, dass sie keine Krümel in seinem Auto verteilt.
Keziah war mit ihren ‘Nehmt sie mit. Dann ist sie schon beschäftigt.’ recht eindeutig.
“Juni. Anfang Juni, als wir Havanna verlassen haben.” sagt er, weiter beunruhigt die Gegend nach Krümeln absuchend.
“Und wie habt ihr euch kennengelernt? Ich hör immer nur Sachen wie Mafiaboss und Dinge in die Luft gejagt und Ay und Arr.” die blonde Elfe lächelt mit großen blauen strahlenden Augen in den Rückspiegel, was Jazz ein lächeln entlockt als sie ansetzt: “Holliday war als Runner immer wieder auf Havanna. Er hatte ein Boot und kam immer…” “Ein Boot?! Wie cool! So richtig mit Piratencrew und so?!”
Holliday erzählt Mara einige kleinere Geschichten der Fortune Hunter, was aus dem Mädchen immer wieder begeisterte Laute ausrufen lässt. Ein warmes Gefühl des Glücks macht sich in Jazz breit. Sich um jemand jüngeren kümmern zu können hatte sie schon immer glücklich gemacht.
Ihre Gedanken schweifen wieder ab zu Ricky, der irgendwo im Norden in seinem Internat sitzt und ihr Glück schwindet.
“Klingt als hätte dir dieser Javier ganz schön das Leben schwer gemacht Holliday!”
Der Elf der gerade beobachtet wie Jazz Miene sich verfinstert lehnt sich herüber und küsst sie auf die Wange. “War es wert.” Und Jazz beginnt etwas gequält zu lächeln.
“Warum heißt du eigentlich Holliday mit zwei L?! Keziah sagt immer wenn ich das so schreibe, dass das falsch ist!”
“Doc Holliday war ein Revolverheld.” setzt Jazz an. “Er hatte eine unheilbare Krankheit und hat deshalb beschlossen, dass es besser ist auf böse Jungs zu schießen als einfach so zu sterben. Und er war auch Arzt.
Mara greift von hinten nach Holliday “Bist du auch krank?!”
Er will gerade die lange Narbe an seinem Unterarm vorzeigen, die FiFis Ritual bei ihm hinterlassen hatte, da muss Jazz den Wagen anhalten.
“Straßensperre.” sagt sie wenig überrascht. “Ab jetzt werden wir wohl laufen müssen.”
“Was wollen wir eigentlich nochmal genau bei diesem Hotel?” fragt Holliday der sich in der Gegend umsieht und wenig begeistert wirkt sein Auto zurückzulassen.
“Damon war da.” Jazz betätigt einen Knopf und der Motor verstummt.
“Uh ja, Damon findet sie ganz spannend. Redet viel von ihm. Sie war jetzt aber auch lange single, eigentlich ist Keziah nie…”
“Vergiss deine Axt nicht Querida.”
“Ach ja… Stimmt!”
Holliday aktiviert noch den Combat Mode des Wagens, den er irgendwann nachgerüstet hatte als er mit dem Wagen nach Puyallup musste.
Die Gruppe steigt aus und durchquert Revere. Häuser sind verbarrikadiert, die Gegend sieht aus als hätte sie sich um einiges stärker radikalisiert als in Cambridge. Das eigentliche Hotel ist ein großer eckiger Kastenbau mit kleinen Fenstern und kleinen Balkonen. Bereits auf dem Parkplatz erkennt man, dass dieser Komplex nicht als Hotel genutzt wird. Sie lesen AROs auf denen etwas von ‘Stützpunkt’ und ‘Wenn Sie welche brauchen, finden Sie hier Hilfe!’ steht.
“Eine Quarantäne Selbsthilfegruppe…” murmelt Holliday der die AROs überfliegt.
“Oh ich war auch mal in einer…!” Jazz bedeutet Mara ruhig zu sein, als ein Mann aus dem Komplex tritt. Er muss ca. in Jazz Alter sein und stellt sich als “Carl Leforest” vor.
“Hey, wir freuen uns immer über neue Gesichter die Hilfe und ein neues zuHause suchen! Wir sind kein Haufen durchgeknallter Prepper müsst ihr wissen. Nur eine Gruppe Leute die sich daran versucht ein neues zu Hause aufzubauen in all der scheiße hier!” Jazz und Holliday schauen sich ob des verkäuferischen Tons des bewaffneten Mannes misstrauisch an.
“Das klingt ja SUPER!” tönt es hinter ihnen und Carl lächelt Mara an.
“Ihr könnt gerne reinkommen und es euch angucken.” Er hält ihnen einen Bottich hin. “Waffen müssen aber draußen bleiben.”
Bevor Mara dazu kommt ihre Waffe abzugeben ergreift Holliday das Wort:
“Wir würden uns gerne noch ein bisschen was dazu anhören.”
Der Mensch zuckt mit den Schultern. “Klaro. Also: Unsere Leute halten an den Barrikaden wachen, aber die meiste Zeit lassen wir es uns hier eigentlich ziemlich gut gehen. Ziehen ab und zu mal los zum Vorräte suchen, aber wir haben noch niemanden verloren und sind 100% Enzephalitis-frei! Jetzt kommt gerne rein, ihr dürft natürlich auch jederzeit wieder gehen!”
Der Mann greift Jazz als die deutlich kleinste der Gruppe an der Schulter aber Holliday schnellt vor und greift seinen Arm.
“Es gibt noch ein paar mehr von uns. Wir gehen sie holen und kommen wieder. Wir haben auch Haustiere die wir gerne mitbringen würden.”
Die beiden Männer schauen sich einige Sekundenbruchteile abschätzig in die Augen, dann lässt Carl Jazz los und richtet sich auf. “Klar, ihr braucht doch bestimmt Hilfe die Leute und Tiere zu holen. Ich begleite euch.”
“Oh das ist aber nett von dir!” Tönt es abermals von Mara.
Ihn jetzt abzuhängen würde zu viel Aufsehen erregen. Mara und Holliday als schnelle elegante Elfen würden es vermutlich schaffen, aber Jazz ist eher für den Kampf als die Flucht ausgelegt.
Sie lassen sich ca. die halbe Strecke zum Auto von Carl begleiten.
Als sie um eine Häuserecke biegen reißt Holliday die beiden Frauen in einer schnellen Bewegung in einen engen Schacht der in eine Tiefgarage führt. Hinter ihnen hören sie Carl wild fluchen. Jazz meint das Durchladen einer Schrotflinte zu hören. Auch in der Tiefgarage herrscht absolutes Chaos. Wägen sind schwer beschädigt, man erkennt blutige Schleifspuren und sieht vereinzelt Metas die es nicht geschafft haben.
In der Zeit die Carl braucht zum Eingang des Komplexes zu gelangen, entkommt die Gruppe über eine Seitentreppe und kann einige Straßen weit in Richtung des Wagens fliehen.
Irgendwann muss Jazz innehalten weil ihre Kondition nachgibt. Sie atmet schwer. Ihre merkwürdigen diffusen Bauchschmerzen melden sich erneut. Ihr wird etwas übel.
Holliday zieht sie in einen leeren verlassenen Innenhof.
Nicht weit entfernt hören sie die Stimme von Carl wie er einen Passanten zu suchen scheint, der ihm sagen kann wohin die Gruppe verschwunden ist.
Dann hört Jazz die Stimme eines kleinen Mädchens die ängstlich klingt und ein zögerliches “In den Weg da rein.” von sich gibt. Die anderen versuchen sich zu verstecken. Jazz hört doch ein “Danke Kleine.” und dann wie ein Abzug betätigt wird und ein Schuss sich löst.
Jazz springt aus dem Hinterhof und sieht wie Carl über der Leiche eines ca. 8 Jährigen Mädchens steht. Sie trägt einen roten Mantel mit weißen Tupfen. Aus ihrem dunkelbraunen Haaren sickert Blut auf den Asphalt. Ein Ball den sie augenscheinlich gesucht hatte kullert über die Straße.
Bei Jazz versagt jeglicher Überlebensinstinkt als sie dem Menschen “SIE WAR NOCH EIN KIND.” Entgegenbrüllt und einen Molotov anzündet. Brennender Alkohol ergießt sich über dem Menschen der die Waffe fallen lässt. Zeitgleich springen Mara und Holliday aus dem Innenhof.
Der Mensch beginnt sich auf dem Boden zu wälzen als Jazz über ihn tritt und ihm unsanft gegen den Kopf tritt. “Sie war noch ein Kind du Bastard.” Dann stößt sie ihren Säbel durch den Hals des Menschen.
In der Ferne sind Stimmen und Motoren zu hören.
Holliday zieht Jazz hinter sich her als Mara bereits weiter in Richtung des Autos sprintet.
“Scheiße Mann, sie haben Carl getötet! Die machen wir fertig! Da hinten!” hören sie noch hinter sich als sie weiter durch die zerstörten Häuserketten sprinten.
Sie kommen am Auto an und Holliday drückt Jazz auf den Beifahrersitz. Er schwingt sich galant hinter das Steuer des Wagens und fährt mit quietschenden Reifen davon.
“Drek was wollen diese Typen denn?! So viel zu man darf jederzeit gehen.”
Mara nickt und betrachtet Jazz die auf dem Beifahrersitz immer kleiner wird und zu schluchzen beginnt. “Sie war doch nur ein kleines Kind das einen Ball gesucht hat.”