Woraus ziehst du deine Kraft? - Jazz

Crow Mountain - Nahe Pavillion - Samstag 23.4.2077

Kein Durchgang! Heiliges Gebiet! Ab hier Yellowstone Nationalpark! Militärisch überwacht. Bei Übertreten der Grenze folgen sofortige Konsequenzen.

Langsam drehte sich Jazz auf dem ausgetretenen Trampelpfad um. Unter ihr knarzte der Schnee laut und scheuchte ein paar auf einem Baum niedergelassene Raben auf. Ein Stück ging sie den extra für Touristen abgesteckten Panoramapfad zurück. Sie war nie die Person die aus der Natur Kraft schöpfte. Natur war schön wenn sie da war. Aber nicht notwendig. Jazz schöpfte ihre Kraft aus sozialen Interaktionen. Da aber genau diese es waren ,die ihr diese Woche jegliche Kraft die sie sonst so im Überfluss hatte, geraubt hatten, wollte sie es mit wandern versuchen. Sie warf sich auf eine Parkbank, die auf ein ‘malerisches’ Bergpanorama im Schnee ausgerichtet war. Kurz betrachtete sie die verschneiten Bergspitzen und seufzte. Dann zog sie ihr Kommlink aus der Tasche und wählte eine Nummer.

Kurz tutete es aus der Leitung. Dann öffnete sich ein Trideofeed vor Jazz.

“Ich bin eine furchtbare Mama.” sagte Jazz mit entnervter Verzweiflung.
Same!” die ausgebrannte Magierin warf sich in einem exorbitanten Salon dessen Wände mit Büchern in schweren dunklen Regalen behangen waren, auf ein riesiges Ledersofa. Es ploppte laut als sie mit den Zähnen eine Weinflasche entkorkte und sich einen dunklen Rotwein in ein großes Bordeauxglas einschenkte.
Jazz musste unwillkürlich lachen.

“Ist es die kleine Schnitterin von Keziah? Wirkte ja in Boston manchmal als wär sie noch in der Pubertät.” Jazz kannte mittlerweile den Gesichtsausdruck von FiFi wenn ihre Neugierde geweckt wurde recht gut. Er erschien immer wenn sie bei ihren wöchentlichen Witchin and Bitchin Dates über Keziah redete wenn diese mal selbst nicht teilnehmen konnte.

“Nein. Es… Es sind RUNNER. Ein großes Lager voller Runner. Und sie sind wie ein Sack Flöhe! Jeder rennt in eine andere Richtung und ich will bei jedem aufpassen, dass er nicht ins Unheil rennt. Ich mache ihnen Kaffee und Sandwiches und teile meinen Rum und besorge Brettspiele und… Und dann habe ich das Gefühl ich mache alles falsch. Mara will gar nicht geschützt werden, die will eigentlich machen was sie will. Sie will sich nicht eingeengt fühlen aber beschwert sich wenn ich ihr zu viel Freiraum lasse. Und diese Woche wurde das alles zu viel. Ich… Ich hab entscheidungen zu schnell getroffen und es gab Ärger und… Jetzt sitze ich am Arsch der Welt im Schnee.”

“Naja in Cheyenne sollte es zum Glück bald wärmer werden.” Die Frau mit starkem Südstaatenakzent öffnete vor sich ein ARO mit der Wettervorhersage.
“Ich bin am Rand vom Yellowstone. Alleine. Ich… Ich war Mittwoch so durch, wir waren eh hier, ich hab mir einfach ein Hotel genommen. Wir machen hier Nachforschungen wegen…”

“Den Verschwundenen! Ich erinnere mich. Du hast nicht mal Holliday dabei?! Und rennst allein durch den Schnee, wo Wanderer verschwinden. Bist du bescheuert?!”

“Du stillst und trinkst Alkohol! Das ist auch nicht perfekt.” Jazz kickt vor sich einen kleinen Kiesel durch den Schnee.
“John ist mit Baby Alex auf einer ‘Vater Kind Erlebnis Wanderung’ mit vielen anderen Vätern und danach im Country Club. Ich habe abgepumpt und noch….” Sie blickt mit zusammengekniffenen Augen auf eine Uhr “5 Stunden bis die beiden zurück sind. Mindestens. Das reicht um abzupumpen, wegzuschütten und nach zu… Sorry Stilltalk. John umringt sich mit anderen Vätern aber ich finde andere Mütter nur ätzend. Deshalb rede ich vor dir so einen quatsch. Aaaalso. Deine Runnerbabies…”

Jazz nickte und drehte die hinter ihr schwebende Wärmedrohne etwas weiter auf. Die schwebende Heizung rettete ihr ihre Wanderungen die sie seit sie hier war täglich machte.

Fifi sprach weiter: “Weißt du. Runner sind nicht zum zusammenleben gemacht. Das ist ein gefährliches Business und jeder kann immer zurückverfolgt werden. Was Nayad vor hatte war total verständlich. Wir hatten so viele MMVV Infizierte in NOLA dass ich manchmal vergesse, dass es auch noch anderen Rassismus auf der Welt gibt. Vielleicht… In Boston wars ja okay zusammen zu wohnen wegen dem gegenseitigen Schutz aber jetzt in der Nation?”

“Hast du nicht in einem Runnerhotel gewohnt?” Jazz blickte verwirrt zwei Raben hinterher die sich gerade um eine Nuss streiteten.
“Ehm… Ja… Sagen wir es so. Der Dome hatte… Hilfe von weit oben.”
“GOD?”
“Nein… Eher eine große Echse. Das beruhigt Runner. Ob sie jetzt davon wissen oder nicht.”
“Ich kenne keinen Großdrachen in New Orleans?” Jazz reibte ihre Nasenspitze mit den Fingerspitzen um sie etwas anzuwärmen und bat die Drohne sie langsam zu umrunden.
“Nein. Kein Großdrache. Also… Dein Hub?”

Jazz dachte ein paar Sekunden über das gesagte nach. “Ich mag die Stimmung im Hub immer sehr gerne… Und ich… Ich dachte einfach ich kann es allen recht machen und meinen Job machen und eine gute Freundin sein und…” Das Lachen der schwarzhaarigen Menschin aus dem Trideo irritierte Jazz.

“Wenn ich es nicht mal schaffe ein Baby durchgehend zufrieden zu halten das nichts anderes will als brabbeln, Brüste und schlafen, wie sollst du denn all diese Jobs schaffen?!”

“Was würdest du mir denn raten?” Jazz zog die Schnur an ihrer Kapuze etwas enger um den strenger werdenden Wind abzuschirmen.

“Nun… Im Normalfall würde ich sagen… Such dir eine Nanny. Aber die ist nichts für die Runner, weil die keine Fremden mögen. Und der Stripclub ist zu früh und dein Projekt um dich zu profilieren… Bleibt nur Holliday und ich weiß nicht ob du für den eine Nanny willst.” Sie grinste und leerte ihr Weinglas. “Aber das ist doch nicht alles oder?”

Jazz schüttelte den Kopf. “Ricky, mein Ziehkind schreibt mir seit einer Woche traurige SMS weil ich mit ihm nach Barcelona fliegen wollte… Diese Woche… Und jetzt weiß ich nicht mal ob ich ihn die nächsten Ferien sehen kann. Wir rennen mit Ben wieder auf irgendeine Apokalypse zu und… mittlerweile sehe ich die Apokalypsen so sehr kommen, dass ich jetzt schon bevor es losgeht, einfach nur noch will dass es vorbei ist. Und dass dieser kleine Junge traurig ist wegen mir…” Jazz blick zurück auf das Trideo in dem FiFi gerade Tränen in ein Taschentuch schnäuzt.

“Tut mir leid. Die Hormone… Ich muss John anrufen und fragen ob es Alex gut geht… Tut mir leid Jazz. Ich hab da auch Schuldgefühle. John ist so ein besserer Vater als ich eine Mutter…”

“Das ist doch Schwachsinn. Du hast Brüste! Allein deshalb bist du noch mindestens ein Jahr seine Nummer Eins! Hör zu… Habt ihr schon was neues auf eurer Suche…? Du weißt schon… Für mein kleines Problem? Das wir regelmäßig mit den Hexen besprechen?”

FiFi schüttelte den Kopf und Jazz beendete das Gespräch. Das war ein Problem für einen anderen Tag. Aber sie musste die Gelegenheit nutzen, in der Sioux Nation zu sein, um einen ihrer Pläne durchzusetzen.

Kurz starrte sie auf den schwarzen Bildschirm des Kommlink. Dann öffnete sie das Kontaktbuch. Ein alter Kontakt bei Guantanamo Bay, die Nummer des mittlerweile verstorbenen Wellermans, die Nummer ihrer Exfreundin Kiara… Hier stoppte Jazz kurz und scrollte einen Buchstaben zurück und betätigte den kleinen Hörer Knopf. Niemals würde er abheben aber einen Versuch war es wert…

Zu ihrem überraschen hob der Mann ab. Das erste was Jazz wahrnahm war sein glänzendes Zahnpastalächeln.

“Jessica! Mi Amor!”
Jazz wusste genau wo der Mann in Hollidays Alter sich befand. So viele schöne und unschöne Erinnerungen verband sie mit seinem Büro in der Villa Batista. Durch die gewaltige Glaswand hinter ihm konnte Jazz fast bis zum Hafenbecken schauen. Javier drehte den Ledersessel und hielt die Kamera direkt vor die Glasscheibe.
“Havanna. Fast ein Jahr ohne Jessica Diaz-Ruiz. Und es steht noch. Wer hätte das zu glauben gewagt.”
Jazz Augen flimmerten über das Firmament ihrer früheren Heimat, ein Anblick der ihr mehr Trost bot als jede Bergkette der Welt es konnte.
“Wo bist du meine Schöne? Du bist sonst nie irgendwo, wo es so ruhig ist. Bist du in der Natur?”

Jazz nickte. Mühelos wechselte sie zurück in ihre Muttersprache. “Ich musste mal etwas weg von meiner Gruppe. Ich war heute 4 Stunden wandern. Einen Berg hoch und dann gleich wieder runter.”
Der Mann lachte als hätte Jazz einen guten Witz erzählt. Wurde dann aber kurz ernster. “Oscuro ist doch bei dir oder?”
Jazz schüttelte den Kopf. “Nein. Ich habe ihm freigegeben. Ich musste alleine sein.”
“Nun… früher bist du zur See gefahren, wenn dir hier alles zu viel wurde.”
“Ja… Das geht hier leider nicht. Das Meer… es hat für mich eine ganz andere Ruhe. Hier ist nur Land. Überall.”

“Ist der Elf bei dir?” ‘Der Elf’ betonte Javier wie immer mit einem distanzierten und unterkühlten Tonfall. Er sagte nie aktiv etwas gegen Holliday, machte aber kein Geheimnis daraus ihn nicht zu mögen.

Jazz schüttelte den Kopf was Javier mit hochgezogenen Brauen quittierte. “Dann seid ihr nicht mehr…”
“Doch. Doch doch. Wir sind sehr glücklich Javier. Wirklich. Es war nur wichtiger, dass er sich zu Hause um die Gegebenheiten kümmert.”

Der Mensch nickte. Jazz sah ihrem alten Freund genau an, dass er lieber etwas anderes gehört hätte.
“Wieso wolltest du etwas über Belial erfahren, Jessica?”
Jazz zögerte. “Er hat ein Konzert hier in der Gegend. Auf diesem großen Festival. Und ich wollte wissen ob er für uns eine Gefahr wird oder nicht.”

Javier nickte langsam und hob einen Tablet PC von seinem großen schweren alten Holzschreibtisch. “Be.Li.Al. War 2074 auf Kuba. Im Frühjahr. Ich habe euch nie zusammenarbeiten lassen da er recht… offensiv ist. Wir pflegen gute Geschäftsbeziehungen zu den Ancients. Sie schieben für uns Tempo nach Nordamerika. Belial ist eigentlich kein schlechter Kerl. Er hat sich seinen Respekt verdient, behandelt seine Leute gut und tut tatsächlich etwas, um den Vierteln zu helfen, über die er herrscht. Er ist unerschütterlich und unbelehrbar in Bezug auf den Glauben, dass die Ancients das A und O im Leben sind, obwohl so gut wie niemand außerhalb der Ancients so denkt. Selbst Punks in den Ancients wollen vielleicht eines Tages aussteigen. Aber nicht Belial. Er ist ein wahrer Gläubiger.”

Jazz versuchte herauszulesen, was das jetzt über seine Beziehung mit Mara aussagen möge.
“Du denkst über etwas nach.”
“Weißt du was über seine Beziehungen?”
Javier schien sich kurz zu verschlucken, überspielte dies jedoch auf die coolstmögliche Art. “Wenn der Elf dich an die Ancients vergeben will, hätte ich dich sehr gerne vorher zurück.”
Jazz schüttelte bestimmt den Kopf. “Nein… Eine Freundin hatte was mit ihm. Und redet nicht so viel drüber.”
Javier hob das Kinn. “Metatyp?”
Jazz log. “Elfe.” und wurde sofort dafür bestraft. “Banshee also.” Javier grinste ob seiner Fähigkeit sie zu lesen wie ein offenes Buch.
“Schnitterin.”

Das Wort entlockte Javier eine weit erhobene Augenbraue. “Na dann… Eine Menschin hätte es deutlich schlechter. Menschinnen nutzen sie als ‘Breeder.’ um die Elfenrasse zu verfeinern. Wie man in jede Pferdezucht ab und zu einen Vollblüter reinzüchten sollte um gewisse Körperstandards zu erhalten. Diese Breederinnen leben meist ein recht beschränktes aber ganz gutes Leben. Viele Orgien, wenig Selbstbestimmtheit. Nicht das Leben dass ich einer Frau ermöglichen würde…”
Jazz unterdrückte ein Augenrollen.
“Als Elfe an Belials Seite führt man vermutlich ein sehr gutes Leben. Er war bis vor kurzem mit der elfischen Anführerin der Ancients in LA, Rosa Azul zusammen. Als Schnitterin an Belials Seite… Er wird eine gut dressierte und manipulierbare Waffe zu schätzen wissen Jessica. Sag, diese Schnitterin… Hätte kein Interesse sich den Batistas anzu…”
“Nein.” Fuhr Jazz dem Mafiaboss etwas zu scharf dazwischen.

“Zu schade. Seit den Eskapaden von dieser Gilde… Wir haben die meisten uns freundlich gesinnten MMVV Infizierten verloren. Die MMVV Jäger haben sich auf der Isla ein Camp errichtet und wir bekommen sie kaum im Zaum gehalten. Sie bedrohten auch schon die exotischeren unserer Metasapienten. Nur die Arschlöcher. Da trennen sie schon aber… Die karibische Liga ist nicht mehr ein so guter Rückzugsort für diese Leute wie er einmal war. Und sonst? Was macht der Stripclub?”

“Hat am 8. eröffnet und ich bin am 20. das erste mal geflohen. Also…ich glaube ich habe mich einfach übernommen. Meine Chefin… Es ist nicht wie bei dir, dass ich einfach jemandem sage was ich für richtig halte und die Person entscheidet ob es passt. Ich muss eigene Entscheidungen treffen. Und ich habe das Gefühl, da schaffe ich es nie mal alle glücklich zu machen. Das war auf Kuba einfacher.”

Javier grinste und schwenkte den Rum in seinem Glas ein paar mal im Kreis. “Natürlich. Natürlich war es einfacher Jess. Mit mir hattest du Macht. Die Leute mussten auf dich hören, egal ob sie das blöd fanden oder nicht. Weil du mich hattest. Jeder wusste, wenn man sich mit dir Ärger macht, hat man ihn auch mit mir. Du hast dich freiwillig dafür entschieden dieses Schutznetz zu verlassen.”

Über den nächsten Satz den Jazz sagte, dachte sie in diesem Moment nicht nach, würde es in den nächsten Tagen aber umso mehr. “Ich vermisse das. Das Schutznetz.”

Javiers Halspartie rötete sich leicht als er sich ruhig aufsetzte und an der feingliedrigen Goldkette die seit Jahrzehnten im Besitz der Batista Familie war herumspielte. “Das Schutznetz vermisst dich auch Jessica. Wirklich. Die Insel ist nicht die Selbe ohne dich. Gibt es denn eine Chance, dass du eines Tages zurückkehrst? Zum Schutznetz?”
“Sehe ich aktuell nicht… Sag mal… weißt du was über die Druid’s Wolves?”

Der plötzliche Themenwechsel schien jede Hoffnung die Javier sich gemacht hatte im Keim zu ersticken. Jazz atmete auf.
“Jessica, weißt du wie viele Gangs es gibt? Möchtest du mich jetzt nach jeder fragen?” er seufzte. “Üble Rassisten. Recht brutal und recht gut in dem was sie tun. Keine Batista Freunde. Wir verstehen uns besser mit den Koshari.”
“Die wollen den Tod aller Nicht-Sioux-Americanos.”
Javier verdrehte überspitzt die Augen. “Oh neeeeeein… Jemand will weiße Menschen töten. Die sind ja sonst so eine gefährdete Bevölkerungsgruppe. Es gibt überall für alles Rassisten. Das Gespräch hatten wir doch schon vor 10 Jahren. Du kannst nicht alleine aufspringen und eine Gang abmetzeln. Dann stirbst du und die Gang macht genauso weiter wie vorher. Braucht ihr Soldaten?” Er öffnete ein ARO mit diversen fotografien von Batistas, die in der Sioux Nation stationiert waren.

“Noch nicht… Aber… Weißt du wo The Old Man lebt?”
Javier lachte.
“Würde mich wundern wenn der Typ das überhaupt selbst weiß. Jazz in was für Probleme navigierst du dich wieder? Ich bin grade erst über den Schock hinweg dass du in Boston gesessen bist!”
Jazz hörte wie jemand an die Tür des Büros klopfte. Eine Sekunde später schloss sich der Trideo Feed.

Jazz seufzte. So langsam wurde ihr ihr selbst gewähltes Exil etwas… dröge. Gestern Abend hatte sie mit der netten Polizistin zu Abend gegessen. Ansonsten nutzte sie das Angebot im Spa und in der Snackbar, sowie das TV-Riesenpaket ausufernd. Als sie aufstand und sich die Kleidung abklopfte erreichte sie noch eine Nachricht von Javier.

“War ein potentieller Johnson. Hat in ein paar Wochen Arbeit in der Sioux Nation. Du bist doch jetzt Schieberin? Melde mich nochmal bei dir. Pass auf dich auf! Und egal in was du dich verrennst, Havanna wird immer auf dich warten! Besos. Javier. Ps: freut mich sehr, dass dein Spanish noch akzentfrei ist.”

Na hoffentlich würde das ein angenehmer Job werden, den Javier da auf Lager hatte. Die Gruppe brauchte Geld.

Bei ihrem mehrstündigen Abstieg stand die Sonne zunehmend tiefer. Sie hatte total verdrängt, dass sie das gleiche Gespräch, dass sie mit Nayad geführt hatte vor ungefähr 10 Jahren mit Javier hatte. Vielleicht hatte man mit Anfang 20 einfach noch mehr das Gefühl etwas in der Welt erreichen zu wollen. Oder Jazz hatte sich über die Jahre zu sehr der Denkweise der Mafia angepasst.

Sie machte sich auf ihrem Heimweg zum Hotel Gedanken wann und wie sie in den Hub zurückkehren würde. Ihre extreme Sorge um ihre MMVV Infizierten Freunde war ihr im nachhinein fast peinlich. Sie waren beide erwachsen. Oscuro wusste genau wann ein Kampf lohnte und wann nicht und wäre der erste, der Jazz aus einer brenzligen Situation zieht wenn er eine kommen sähe.

Und Mara… Mara würde sich nicht von ihr schützen lassen. Das hatte sie oft genug durchblicken lassen. Ihre Ambivalenz in Bezug auf Nähe und eingeengt fühlen belastete Jazz. Daisy schien diesem Problem mit Gleichgültigkeit und einer gezielten Drohung im richtigen Moment zu umgehen. Sich selbst zu gefährden machte Mara angst. Daisys ‘Wenn du keine Panzerung trägst lasse ich es eben auch.’ wäre vermutlich das einzige, dass Mara in eine Panzerung bewegen würde. Aber das war nicht Jazz Stil.

Sie hatte über sich selbst im letzten Jahr gelernt dass sie zwischenmenschliche Beziehungen nur auf zwei Arten konnte. Ganz oder gar nicht. Platonisch freundschaftlich oder direkte übernahme in ihren engsten Kreis. Sie mochte Mara. Aber wenn sich das Mädchen wissentlich in Gefahr stürzen würde, würde Jazz sich von ihr trennen müssen. Was dem Mädchen eine weitere Ziehmutter nehmen würde und sie sehr verletzen würde. Aber Jazz konnte mit dem emotionalen Stress Nahestehende könnten durch dumme Aktionen sterben nicht umgehen. Zu viele enge Personen hatte sie bereits durch Unfälle verloren. Allen voran ihre Eltern, ihren Steuermann und Holliday fast. Letzteren Mehrfach.

Als sie auf den Parkplatz des Hotels einbiegt wird ihr schmerzlich bewusst wie sehr sie Holliday seit Mittwoch vermisste. “Sei froh dass du Menschen um dich hast, um die du Angst haben kannst sie zu verlieren. Dann bist du nie alleine.” Hatte ihr Papa immer gesagt, wenn sie nachts mit der (aus damaliger Sicht irrationalen) Angst aufgewacht ist, ihre Eltern könnten tot sein. Vielleicht hatte Jazz schon immer einen Hang zur Überdramatisierung wenn es um Beziehungen zu Menschen ging. Beim Betreten der Hotellobby fiel ihr auf, dass ihr Kommlink auf dem Weg nach Hause leer gegangen war. Sie hoffte ihre Headware sendete weiterhin ihren Standort, sonst waren Mara und Daisy jetzt vermutlich in heller Aufruhr.

Ein Aufzug brachte sie in den 12. Stock in dem ihr Zimmer mit schönem Balkon mit Blick auf die Berge lag. Keziah war so freundlich gewesen ihr das Zimmer zu bezuschussen. Wieso genau wusste Jazz nicht, vermutlich dachte sie jede Frau im Einzugsgebiet von Ben Kendall hätte auch mal eine Auszeit in einem netten Hotel verdient. Dass das schon nach knapp 3 Wochen benötigt war, war Jazz weiterhin unangenehm. Vor Keziah ähnlich stark wie Keziah selbst zu wirken, war eines ihrer Ziele. Mal davon abgesehen, dass die starke Magierin vermutlich sehr gut sehen konnte, dass das nur Fassade war.

Sie seufzte und hielt die Schlüsselkarte des Hotels vor das Schloss. Vor dem BegrüßungsARO stockte sie kurz. Statt “Mrs. Aguirez.” dem Namen ihrer FakeSIN stand hier plötzlich “Mr. & Mrs. Aguirez.”

Sie wandte sich um und sah die ihr bestens vertraute Silhouette des breit gebauten Elfen mitten im Raum stehen.

Im nächsten Moment fiel sie Holliday mit Tränen in den Augen in die Arme. Von der Wucht der massiven Menschin ins Torkeln gekommen ließ Holliday sich mit ihr auf das große in cremefarbene Seide gehüllte Bett fallen. Die beiden sagten einige Sekunden nichts. Dann sagte Holliday leise “Ich musste mich an der Rezeption als dein Ehemann ausgeben.”

“Ist Okay.” murmelte Jazz, das Gesicht fest gegen die Brust ihres Partners gedrückt.
“Die haben dir echt Aguirez abgekauft?”
“Sie haben mir die 700 Fotos der wunderschönen Frau in diesem Zimmer auf meinem Kommlink abgekauft.”
Jazz rappelte sich etwas auf. “Du hättest auch mein mörderischer Stalker Ex sein können!”
“Hmm… So habe ich das noch nicht betrachtet. Aber hey. Ich bin viel zu charismatisch für einen mörderischen Stalker Ex.”
Umständlich pulte Jazz sich aus ihrem thermoisolierten Mantel und den dicken Wanderschuhen. Holliday auch nur einen Millimeter von der Seite zu weichen stand nicht zur Debatte.

“Tut mir leid, dass ich unangekündigt deinen heiligen Berg der Einsamkeit stürme. Aber… Ich habe gestern Abend mit Ben und A.J. und Oscuro gequatscht und mich während des ganzen Gesprächs nur gefragt wieso ich bei denen sitzen wenn ich doch auch hier bei dir…” Holliday wird durch einen Kuss der kleinen Menschin unterbrochen.
“Danke dass du hier bist. Ich… Ich habe dich schrecklich vermisst.”

Holliday lächelte sanft. “Ich dich auch. Ohne dich ist alles viel zu ruhig. Und Mara und Daisy kriechen nachts zu mir ins Bett weil sie denken dass ich einsam bin. Was wirklich süß ist aber… Sie schnarchen. UND sie können dich nicht mal Ansatzweise ersetzen. Aber sie vermissen dich auch. Ich soll dir das…” Der Elf streckte sich nach dem schwarzen Lederrucksack den Jazz aus Kuba für immer mit den Überresten seines Vaters verknüpfen würde “Hier überreichen. Es heißt…”
“Bongo das Bongo! Oh der ist ihr wirklich wichtig. Sie ist so süß.”
“Sie wollte auch gerne mit dich abholen, aber ich meinte die Chancen stehen besser dass du wiederkommst wenn wir uns hier noch eine gemütliche letzte gemeinsame Nacht im Hotel gönnen. Oder zwei. Montag sollten wir aber zurück. Ich habe Angst wer oder was brennt wenn wir zurück kommen.”
Jazz musste grinsen und drückte sich wieder tiefer in den Oberkörper der Elfen.
“Der Zimmerservice ist super und hier gibt es jedes Mediapaket der Sioux Nation. Ich war heute wandern um meine Dämonen rauszulaufen. Bin bis an die Grenze vom Yellowstone gekommen.”

“Und hat es geholfen?” Der Elf schaltete auf die Astralsicht um um die lieb gewonnene Astralpräsenz seiner Freundin einen Moment zu genießen. Noch war ihr aufeinandertreffen so frisch, dass die Präsenz aufgeregt aufleuchtete.

“Nein. War scheiße. Ich vermisse Alkohol und Tabak. Aber nicht so sehr wie dich.”

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:pleading_face::pleading_face:
So eine schöne Fiction! So viel Feels! :green_heart::cry:

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Naaaaw war die Fiction schön gewesen :pleading_face: :blue_heart:

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