Wiedergutmachung - Holliday

Sonntag 04.04.2076 - Nachmittag - Vieja Hafenbucht

Holliday erwacht aus einem kleinen albtraumbehafteten Mittagsschlaf in der Sonne als er wiederholtes knallen vom Nachbarboot hört.
Er hebt den Kopf und sieht wie die Tibidabo leicht schwankt. Er rappelt sich auf und klettert mit einem eleganten Sprung rüber.
Auf einer Stange sitzen wild zwitschernd Antonì und Antonia.
“Sie ist unter Deck. Wütend. Krah*”
„Wann ist sie das nicht?“ Holliday zuckt mit den Schultern.

“Jess? Alles gut?” Zögerlich durchsucht er das Boot, bis er Jazz in Ricardos alter Kabine sitzend findet. Sie starrt auf ein Display und schreckt kurz auf als sie Holliday bemerkt.
“Gott, ich werde mich nie daran gewöhnen, dass man deine Schritte kaum hört.” Sie starrt weiter stur auf das Display.

“Was hat hier denn grade so geknallt? Hat sich angehört als hättest du…” Sein Blick fällt auf ihren herunterhängenden linken Arm.
“Hast du schon wieder versucht gegen die Wand zu springen um den einzurenken? Ich hab dir doch schon 200 mal gesagt, dass das nicht gut ist, du machst damit nachhaltig das Gelenk kaputt. Von den Auswirkungen auf deine Nervenenden will ich gar nicht anfangen.”
“Vielleicht geht es deshalb nicht mehr. Seit dem Kampf spinnt es.” Erwidert Jazz kurz angebunden.

Holliday schüttelt den Kopf. “Darf ich mal?“ Sie nickt. “Schön still halten.” Er setzt sich neben sie, greift den Cyberarm kurz unterhalb des Ellenbogen und bringt mit einer geübten Bewegung bei der es kurz laut knackt, das Gelenk zurück an seinen Ort.
Jazz atmet kurz scharf ein, dann bewegt sie vorsichtig die Schulter.
“Danke.” Ihre Augen lösen sich weiter nicht von dem Display. Kurz überlegt Holliday aufzustehen und zu gehen. Dann atmet er tief ein.

“Erklärst du mir bitte was ich dir getan habe? Ich hab wirklich drüber nachgedacht. Letzte Woche bist du zu Javier abgedampft, da haben wir uns super verstanden und jetzt redest du kaum mit mir, bist abweisend und warst die meiste Zeit nicht mal hier!”
Jazz sieht zu ihm auf und er sieht dicke Augenringe unter ihren Augen, sie sieht müde und abgearbeitet aus.

“Weißt du wo das ist?” Sie schiebt ihm eine Landkarte mit Geo-Tag rüber.
Er studiert sie kurz, dann schaut er sie an.
“Ja… Das ist in den UCAS. Portland. Aber das in Maine, nicht in Oregon, das ist wichtig. Warst du da letzte Woche?”
“Ricky ist da.”
Holliday zieht fragend die Brauen zusammen.
Jazz seufzt. “Freitag Nacht habe ich mich vor der Küste mit Ben getroffen. Ricky wurde von Aztech angefordert um zum Kon-Magier ausgebildet zu werden. Oder Javier hat ihn gemeldet. Keine Ahnung. Aber er musste weg.”
“Fuck Jess wieso sagst du mir denn sowas nicht?”
Sie zuckt mit den Schultern. “Ich war wütend auf dich.”
“Was mich zu meiner ursprünglichen Frage zurück bringt.”

Jazz seufzt erneut und zieht ein altmodisches kleines Aufnahmegerät aus ihrer Tasche. Sie spielt einen Ausschnitt einer Aufnahme des nächtlichen Gesprächs mit Javier ab.
Kurz hören die beiden zu, dann stoppt die Aufnahme.
“Du nimmst ihn auf?”
“Fast jeden eigentlich. Dich eine Weile schon nicht mehr. Die Gruppe auch nicht. Aber sonst… Man weiß nie wann man mal Parteien gegeneinander ausspielen muss. Das hier war aber persönlich.”
Holliday runzelt die Stirn. “Mann, das sind bestechende Argumente gegen mich.” Er schüttelt den Kopf. “Aber alles gequirlter bullshit. Das ist dir doch klar oder? Oder… Naja wohl nicht. Sonst wärst du ja nicht so angespannt gewesen. Dann noch die Sache mit Ricky…”

Jazz nickt langsam. “Deshalb habe ich die letzte Woche auch durchgehend unterwegs verbracht. Ich wusste nicht wohin, also war ich in Clubs und Bars. Und dann bei Kiara wenn Clubs und Bars zu hatten.”
Holliday nickt. “Ich verstehe weiterhin nur nicht…Was Javier für ein Problem mit mir hat. Also ursprünglich. Vor allem aus letzter Zeit.”
Jazz atmet tief ein. “In der Nacht bevor wir beide uns kennengelernt haben, hat Javier mir einen Heiratsantrag gemacht. Danach wollte er mich nicht sehen, deshalb hat er mich mit dem ersten x-beliebigen Runner aus der Stadt geschickt.”
Hollidays Gesichtszüge entgleisen. “Er hat…? Ich dachte ihr hattet nie?”
“Nein, Nein. Da war nie was. Gar nichts.”
“Und er hat dich nicht von der Insel geworfen als du abgelehnt hast?”
“Er denkt nicht, dass es am emotionalen Part scheiterte, sondern… An etwas persönlichem.”
Holliday nickt erneut. Dann lacht er auf “Er hält mich also für aktive Konkurrenz. Das ist ja eigentlich ein Kompliment.”
Jazz zuckt mit den Schultern. “Scheint so. Tut mir leid dass das alles so kompliziert macht.”
“Naja, es gibt für einen Runner schlimmeres als in das Liebesdreieck eines besitzergreifenden Mafiabosses und seiner schönen Assistentin mit rein gezogen zu werden. Immerhin ist keiner von euch ein Drache. Außerdem hast du ja jetzt deinen Dr. Supertoll. Mal sehen wann der im Hafenbecken treibt, oder ein Hotel in Regla nimmt.”

“Tatsächlich wurde er mir von Javier ‘empfohlen’. Er sei nett und aufrichtig… Ist er auch. Aber laaaaaangweilig. Gott. Der Mann trinkt nur Tee. Sogar warm. Und er redet den ganzen Tag von Kindern! Ich mag Kinder noch nicht mal wenn sie nicht Ricky sind.” Holliday beginnt zu lachen als Jazz den Kopf in den Nacken wirft. “Warmen Tee. Wir sind auf fucking Kuba verdammt. Aber dieses britisch… Ich wünschte so würdest du auch reden.” Sie streckt ihm die Zunge raus.

“Hey. Seattler Akzent ist auch sexy!” - “In Seattle vielleicht. Erzählen dir das deine Dates wirklich?”
“Klaro. Jede Piraten-Latina mit Privatzoo an jedem Hafen die ich Treffe schwört mir das wär das attraktivste was sie je gehört habe. Du bist da die große Ausnahme!”
“Jaaaa… Sowas ähnliches sagte Javier auch.” Sie zieht eine Augenbraue hoch.

“Jess, vor 3.5 Monaten wurde bei mir KFS diagnostiziert. Kurz danach starb mein Vater. Während Seattle hast du bei mir gewohnt, und wenn du dich mal erinnerst hab ich dich sogar wiederholt gebeten zu bleiben. So viel Zeit bleibt da ja wohl nicht für Dating. Meine Frauenprobleme beschränken sich auf Sunny die mich immer noch 3000 Dokumente für diese Stiftung unterschreiben lässt, dich die mich abwechselnd kacke findet und nicht und meine um sich schlagende Schwester. Das ist mehr als genug für einen Elf. Ich bin ja nicht Ben.” Er grinst.

“Ja, der wollte wirklich nicht, dass ich Nicolays Tante von ihm grüße…” Sie schweift ab.
“Du hast dich wirklich spontan vor der Küste mit Ben Kendall getroffen?”
“Wer sonst bringt dir denn bitte Conditioner mit?” Sie lacht. “Er hat dich sehr in Schutz genommen. Er mag dich. Hat auch nochmal die Blutmagier Sache betont, ich hoffe über die instabile Lage in Aztlan an einen ran zu kommen, ich denke das zeigt sich nächste Woche. Dieses Portland… ”
“2 Stunden Autofahrt von Boston Massachusetts. In Boston ist Sunny grade.”
“Dann ist da auch Sunnys Vater?”
“Keine Ahnung. Wieso?”
“Naja… Das Gelenk an meiner Schulter wird immer schlimmer. Meinst du der kann das?”
“Ich hab mir den Lebenslauf dieses Mannes angeguckt. Der kann das wahrscheinlich blind mit einer Hand hinter dem Rücken, unter Beschuss, während eines Orkans. Ohne Strom. Aber wenn es nur das Gelenk ist, kann ich dir einen wunderbaren ehemaligen Kybernetiker empfehlen, dessen Praxis nur einen Holzsteg entfernt treibt.”
“No, no, no. Du schnibbelst bestimmt nicht an mir rum auf deinem rostigen Kahn. Sag mal, aber wenn du das kannst… Wäre das keine Alternative für dich? Mit Sunnys Dad arbeiten… vielleicht der Elf werden der KFS heilt!”

“Wenn man einmal aus der Sache raus ist, will man nicht unbedingt zurück, selbst wenn man könnte. Inzwischen dürfte kein Kon der sechsten Welt nach einem ausführlichen Hintergrund-Check sonderlich erpicht darauf sein, mich einzustellen. Ich mag meinen Job. Ich denke also nicht… Wieso, willst du etwa zu Ricky ziehen? Maine ist kalt. Kälter als Seattle.”

“Ich hab keine Ahnung. Ich glaube nach dieser ganzen Sache nehme ich mir eine Auszeit. Ich weiß noch nicht wohin, aber weg. Und klar würde ich gerne Ricky mal besuchen. Ich… kam alleine nicht sonderlich gut klar bisher. Und die Zobop…Die Träume werden schlimmer. Ich kriege kaum noch minutenweise Schlaf.”
“Moment. Dann schläfst du seit 2 Wochen nicht? Das ist doch nicht möglich. Doch Long Haul? Ich dachte nur bei mir wäre es so schlimm. Aber ich habe ja Yong.”

Jazz schüttelt den Kopf. “Wir haben bei der Mafia extra Fortbildungen wie man mit wenig Schlaf auskommt. Kommt ursprünglich von der Scharfschützenausbildung. Ich funktioniere also. Aber es zehrt sehr an mir. Mehr als ich zugeben will. Als ich auf dich aufgepasst habe, habe ich auch kaum geschlafen. Da war das kein Problem. Aber dieser Clusterfuck im Moment…” Sie reibt sich die Stirn.

„Mann, da wäre Long Haul fast gesünder… Shadex hat im Jackpoint geschrieben, dass es ihr ähnlich geht. Von Lex, Nayad und mir wissen wir es auch. Kann mir nicht vorstellen dass Spectre besser da steht. Wenn es kein Gefallen für Javier wäre, würde ich fast vorschlagen, wir kümmern uns um die Zobop Angelegenheit. Meinst du, er würde dafür zahlen? Durch das überraschende Ende des Serienmörders ist gerade etwas Platz in meinem Kalender entstanden.“

Jazz reibt sich eine Schläfe und denkt kurz nach. “Ich glaube nicht, dass man ihn groß überreden muss wenn wir freiwillig auf die Zobop schießen. Aber… Ich hab Bert schon an sie verloren Holliday. Ich weiß nicht ob ich das nochmal durchmachen kann, falls da jemandem was passiert.” Sie schaut auf ein an der Wand hängendes Bild von ihr, Ricky und Bert an einem Strand.
Holliday drückt sie kurz. “Wir haben gute Leute Jazz. Wir kriegen das schon hin.”
Sie verzieht das Gesicht zu einem schiefen lächeln. “Bezahlen würde er je nach Ergebnis. Den anderen Patriarchen gefällt es vermutlich wenn er dich auf die Zobop loslässt. Also wäre das auch ein Sieg an der Front.”

“Trivialfakt Nummer 32: Wussten Sie: Die kleinste Schlange der Welt lebt auf der Karibik-Insel Barbados und ernährt sich von Ameisen- oder Termitenlarven. Sie ist nur zehn Zentimeter lang und dünn wie Spaghetti.”
“Jazz hast du gerade etwas von Schlangen…” -”Ich wollte dich das gleiche Fragen…”
Sie schauen sich kurz an. Dann trifft ihr Blick die neben Holliday aufs Bett gekletterte Riesenschlange Medusa. Gleichzeitig entfährt ihnen ein “Fuck.”

“So viel zu KFS und meiner Schlange… Ich ruf wohl mal Sunny an. Na super. Anderes Thema: Wie machst du jetzt mit Mina weiter? Gabs Fortschritt?”
Holliday schüttelt den Kopf und streicht sich ein paar Strähnen fransiges blondes Haar von der Stirn. “Wenn ich anrufe, drückt sie mich weg, wenn ich vor ihrer Tür stehe macht sie nicht auf. Ich schwöre dir, als nächstes breche ich bei ihr ein.” Er grinst schief.
“Wenigstens stand sie so nicht auf der Liste des Killers.”
“Das… stimmt.”
Jazz kramt ihr Komlink aus der Tasche ihrer Hotpants, grinst ihn an und wählt eine Nummer.

“Hi Mina. Ja alles gut und bei dir?.. Schön… Du hör mir mal zu, wegen deinem Bruder. Nein du legst nicht auf. Du gibst ihm jetzt Zeit um mit dir zu reden und hörst ihm verdammt nochmal zu! Er hat sehr viel riskiert um hier mit dir reden zu können. Sonst regeln wir das wie bei der Mafia, ich sperre euch zusammen ein und entweder ihr vertragt euch oder habt endlich den Anstand euch zu erstechen! Und er ist verdammt schnell. Ja. Ja. Nein. Keine Ahnung? Das geht mich doch gar nichts an. Hör ihm einfach zu und besprech mit ihm wie es weiter geht, sonst geht er doch nie. Ja. Gracias.”

Sie reicht Holliday ihr Kommlink.

“Danke Jess.” flüstert er leise, dann beginnt er auf seine Schwester einzureden: „Hey Minnie!“ Aus dem Komlink sind Schreie zu hören. „Ja, ich wollte dich nicht mehr so nennen, sorry. Hör mir bitte zu. Es geht um Dad…. Sag das nicht mir, ich bin der letzte, der von ihm herumkommandiert werden will, aber ihm lag etwas an dir, es ist sein Wunsch, also ist er dein Problem! Lass uns das irgendwie lösen.“
Jazz schließt die Tür der Kabine hinter sich und begibt sich zurück auf Deck.

Holliday tritt etwas später zurück aufs Deck um Jazz zu erzählen wie das Gespräch mit Mina lief und sieht wie sie auf dem Steg wild auf Javier einredet.
“Senior Vacaciones? Wir nehmen sie fest wegen Verrats an der Familie Batista. Kommen Sie bitte mit.”

Holliday erstarrt. Die zwei Trolle marschieren auf ihn zu. Seine Crew reckt die Köpfe von der Fortune Hunter. Eines der Mitglieder hält fragend ein Sturmgewehr hoch. Holliday schüttelt unauffällig den Kopf.

Dann wirft Jazz sich schwungvoll vor Holliday und hält die Trolle zurück. Ihr Säbel klappert und sie fällt fast über eine rumliegende Flasche.
“Nein. Ihr dürft ihn nicht…”
“Jess ist ok.” Holliday bleibt ruhig stehen

“Lebensschuld.” gibt Jazz gepresst raus. Sie hält sich die Bauchwunde. Die Trolle bleiben stehen.
“Was?!” entfährt es Javier Batista.
Holliday runzelt die Stirn. Er hat keine Ahnung worüber die beiden reden.
“Lebensschuld. Du nimmst ihn nicht mit. Er erledigt seine Sache und verschwindet. Wie ausgemacht.”
“Du benutzt deinen einmaligen Mafiafamilien Bonus der eigentlich nur Batistas zusteht um Vacaciones aus dem Mafiagefängnis zu halten?”
“Ja.”
Holliday bemerkt ihr leichtes Zittern als sie eine kleine goldene Munitionshülse aus ihrer Tasche zieht und sie Javier zuwirft.
Dieser dreht die kleine Hülse kurz zwischen zwei Fingern.

“Hm. Schade. Ich dachte die nutzt du für etwas sinnvolleres meine Liebste. Vacaciones, Sie haben die Dame gehört. Sie erledigen ihre lächerliche Familiensache und verschwinden. Bis dahin werden sie mein persönliches Runner-Schoßhündchen. Sie machen keinen Schritt auf dieser Insel ohne dass ich auf dem laufenden gehalten werde. Jessica, ich hoffe du hast dir das gut überlegt.”
Javier macht auf dem Absatz kehrt und begibt sich zurück in Richtung Stadt. Die beiden Securitys funkeln Holliday noch einmal wütend an und gehen.

Jazz atmet tief durch und dreht sich dann zu Holliday um, der erst die Brauen hoch zieht und dann grinst.
“Oh nein, bild dir da jetzt bloß nichts drauf ein.”
“Doch… Doch doch, das mache ich. Eigentlich mache ich das schon seit du den Privatdetektiven der KFS erwähnt hat verprügelt hast. Nur doof, dass Javier nicht wirkt, als wollte er uns gegen die Zobop anheuern.

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Ich find den Gedanken schön, dass sie schon länger Trivia Fakten runter rattert aber es nie jemand gehört hat hahahaha :joy:

Muss wirklich sagen, ich LIEBE diese fiction. Wir kommen endlich an die ganzen Probleme. Dadurch wird mir Senior Batista zwar echt ungemütlich aber still… Who cares! Love it! :heart_eyes:

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Die Story ist wirklich sehr schön geschrieben. Muss ich Kate recht geben

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