Von Feind zu Freund? - Shadex

30.03.2076 - Shadex Wohnung in San Miguel de Padron - gegen 17.10 Uhr

“Verdammter Mist, das ist nicht gut”, murmelte Shadex vor sich hin, als sie die neuesten Nachrichten auf dem Jackpoint las. Der Serienmörder hielt sie alle ganz schön auf Trab, es gab so viele offene Fragen und viel zu wenige Antworten darauf. Vor allem die Sache mit De León war komisch. Sollte es wirklich einen neuen Mord gegegben haben, dann mussten sie diesmal schnell sein und versuchen, so viele Infos wie möglich zu erhalten. Bevor, ja bevor wieder alles auf mysteriöse Art und Weise verschwand. Gerade viel konnte sie im Moment nicht beitragen, schließlich kannte sie sich hier immer noch zu wenig aus und sie kannte auch nicht wirklich viele Leute. Der einzige, den sie wohl mal wieder fragen konnte, war Iceberg.

Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Sie wusste nicht genau, wie sie mit ihm umgehen sollte. Seine Art erinnerte sie sehr an ihr früheres Leben und vor allem erinnerte es sie zu sehr an ihr früheres Selbst. Trotz allem was sie jetzt wusste, verspürte sie weiterhin leichte Angst in seiner Nähe, ganz war diese nicht gewichen, obwohl er in ihrer Nähe immer sehr freundlich und einfühlsam war. Sie wusste jedoch, dass er auch ganz anders konnte, sie hatte es schließlich am eigenen Leib erfahren.
Im Umgang mit seinen Mädchen und Jungs war er ebenfalls sehr geduldig und er hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihnen, was wiederum sehr im Kontrast zu seinem Auftreten in der Vergangenheit stand. Die Geschichte in Seattle hatte ihn wohl wirklich sehr verändert, was ihr jedes Mal bewusst wurde wenn sie in seine Augen sah. Oft waren sie einfach ausdruckslos und leer, ein anderes Mal waren sie voller Schmerz. So sehr sie sich dagegen wehren wollte, so sehr musste sie sich eingestehen, dass er ihr Spiegelbild war. Zumindest das Bild von ihr, bevor sie angefangen hatte eine Mauer um sich zu bauen, bevor sie angefangen hatte, der Welt eine Maske zu zeigen. Wahrscheinlich war dies alles auch der Grund, warum sie ihm zu vertrauen schien.

La Rosa Roja - Plaza de la Revolución - Ein paar Stunden später

Bevor sie das “La Rosa Roja” betrat atmete sie noch einmal tief durch. Auch wenn es lange her war, war es doch immer wieder beklemmend, in ein solches Etablissement zurück zu kehren. Sie betrat das Bordell durch den Hintereingang, sie hatte wenig Lust von irgendwelchen schmierigen Typen angegraben zu werden, die sie für eines der arbeitenden Mädchen hielten. Das würde für sie beide kein gutes Ende nehmen. Der Typ würde sich wohl eine blutige Nase holen und sie würde, wenn sie Pech hatte, um ihre Informationen gebracht werden. Die Sicherheitsleute an der Hintertüre ließen sie ohne Probleme passieren, sie nickten ihr lediglich zur Begrüßung kurz zu. Drinnen machte sie sich auf den Weg zu dem kleinen aber gemütlichen Büro von Iceberg. Dieser war allerdings nicht da, wahrscheinlich wurde seine Aufmerksamkeit gerade an einem anderen Ort des Etablissements gebraucht und so setzte sie sich auf das Sofa, das an der Wand stand und wartete.

Nach ungefähr 10 Minuten schwang die Türe auf und Iceberg kam herein.
“Aur…” Bevor er ihren Namen ganz aussprechen konnte unterbrach sie ihn schroff: “Nenn mich hier bitte entweder Shadex oder wenn es sein muss Allison, aber verwende nicht meinen richtigen Namen.”
“Tut mir leid”, gab er zerknirscht zurück und fragte dann: “Was führt dich zu mir?”
Sie sah ihm in die Augen und sah wieder diesen Schmerz in ihnen, den Schmerz der allzu oft in ihnen war, wenn er sie ansah. Innerlich nannte sie sich selbst eine Idiotin, dass sie ihn so angefahren hatte, wegen der Sache mit dem Namen. So dermaßen kleinlaut und fast schon fragil war er nur in ihrer Nähe, wenn sie beide allein waren. Wenn andere hinzu kamen, dann riss er sich zusammen, aber sie hatte das Gefühl, dass er bei ihr einfach alles fallen ließ, da er wusste, dass sie ihn durchschaute. Wenn nötig war er weiterhin der knallharte Kerl, den sie von früher kannte, aber das war nur eine Fassade.
“Entschuldige das ich so schroff war, die ganze Geschichte mit dem Serienmörder nimmt mich etwas mit. Wir haben kaum Anhaltspunkte und noch so viele offene Fragen. Keine Ahnung wie lange Javier zusieht bis er Ergebnisse will. Ich wollte dich nicht so anfahren.”
Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht: “Schon gut. Die Sache erinnert dich wohl auch an die Zeit wo du unter diesem Bann standest, von dem du mir erzählt hast. Außerdem fällt es mir immernoch schwer zu glauben, dass du überhaupt mit mir sprichst, geschweige denn mich noch nicht umgebracht hast, für das was ich getan habe. Wobei es vielleicht auch nur der Tatsache geschuldet ist, dass du Infos brauchst.” Er beendete den Satz mit einem bitteren Schnauben.

Shadex musste sich eingestehen, dass ihr der Gedanke durchaus schon gekommen war, allerdings sah sie mittlerweile keinen Grund mehr ihn zu töten. Ja, er hatte ihr schlimmes angetan, aber es war nie seine Absicht gewesen. Hatte sie ihm alles vergeben? Nein! Wird sie ihm vergeben können? Daran arbeiteten sie gerade. Momentan brauchte sie ihn und seine Informationen und auch wenn seine Nähe ihr noch unangenehm war, sie mochte ihn auf eine ziemlich verdrehte Art auch. Die Wut und der Hass, den sie früher für ihn verspürte, verspürte sie jetzt für die Leute die ihn, genauso wie sie, als Spielzeug missbraucht hatten.

“Ja, ich brauche Infos von dir. Allerdings ist das nicht der einzige Grund warum ich hier bin und wenn du ehrlich bist, dann weißt du das auch. Was die Sache mit dem Mörder angeht hast du wohl recht, es bringt die Erinnerungen an meine Morde zurück. Ich erinnere mich an jedes Detail, allerdings war es eher als ob ich einfach nur ein unbeteiligter Zuseher gewesen wäre.”
Er nickte verstehend und gab dann zurück: “Na dann schieß los, womit können ich und meine Leute dir diesmal behilflich sein?”
“Ich habe dich ja das letzte mal nach den Opfern der Morde gefragt, angeblich gibt es ein neues Opfer, wir haben keine Ahnung wer es sein soll. Was allerdings komisch ist, ist das der Innenminister wohl verschwunden ist. Weißt du da zufällig etwas?”
Kurz überlegt Iceberg und antwortet dann: “Jetzt wo du es erwähnst, tatsächlich hat ihn seit Freitag niemand mehr gesehen und das ist eher unüblich, da er sonst am Wochenende oft hier in der Gegend unterwegs ist. Trifft sich aber gut, dass du gerade heute hier bist, dienstags schicke ich ihm immer ein paar Mädchen, vielleicht können die dir etwas erzählen, wenn sie wieder hier sind. So lange kannst du gerne hier warten, ich besorge uns auch was zu essen.”
Shadex lächelte leicht: “Klingt gut, aber nur wenn du uns auch noch was zu trinken besorgst.”
“Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, das wird ein Date.” sagte er lachend. Shadex hörte ihn das erste mal wirklich ehrlich lachen.
“Tja, vielleicht will ich dich auch nur abfüllen, damit du mir mehr erzählst”, erwidert sie ebenfalls lachend. Irgendwie hatte sich die Stimmung zwischen den beiden sehr schnell geändert. Vielleicht konnten sie sich gegenseitig retten.

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Sehr schöne Fiction :blush:

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Dankeschön :heart:

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