Venus Clinic for Ethical Research - Nayad

[Kleine Anmerkung: diese Fiction sollte eigentlich vor dem Finale kommen, aber ich hab es wirklich zeitlich einfach nicht geschafft. Also hier die „Vor-Finale“ Fiction, und die „Finale“ Fiction dann nächste Woche!]

14. 06.2077,
Im Camp

Die Sonne strahlt hell auf das Camp hinab, während Andromeda gedankenverloren im Schatten auf ihrem Sitzsack vor dem Van sitzt. An ihren Füßen liegt Maya auf ihrer Kühlmatte und kaut glücklich auf ihrer quietschenden Ente herum. In ihren Fingern dreht sie vorsichtig ihr Kommlink mit ihrer RealSIN, während das Runner-Link neben ihr auf dem Beistelltisch liegt und in regelmäßigem Abstand eine neue Nachricht meldet.

“Du musst das nicht machen, weißt du” bricht Cassandras Stimme durch ihre Gedanken. Ihre Partnerin steht vor ihr mit gerunzelter Stirn und dem KeyChip für das Auto in der Hand.

“Ich weiß…” murmelt Andromeda und beißt sich auf die Lippe. “Aber ich glaube ich will das.”

“Na dann los.” Sanft drückt Cassie Nayad einen Kuss auf die Stirn, dann hält sie der anderen Frau den KeyChip und eine Tasche hin.

Mit einem leisen Seufzen steht die Gorgone von ihrem Stuhl auf, nimmt den Schlüssel und die Tasche, und dann die Leine für Maya. “Bis später, Cassandra,” sie lächelt unsicher dann geht sie über das Camp zu ihrem Wagen. Maya in ihrer Weste, die sie als Emotional Support Animal kennzeichnet, folgt ihr brav an der Seite auch ohne Leine. Ohne Probleme springt der Husky auf die Rückbank und legt sich hin als sie angeschnallt wird. Die Tasche hingegen wirft sie unzeremoniell auf den Beifahrersitz, während sie die Route eingibt und die Musik wählt.

Sie zieht den Spiegel in der Sonnenblende herunter, dann schließt sie die Augen und atmet einmal stockend durch. Als sie die Augen wieder aufschlägt hat sie tief braune Rehaugen, einen blasseren Teint und einen glatten hohen Pferdeschwanz. Ihr Aussehen schreit Anglo Tourist und das ist genau was es bewirken sollte. Stechende Kopfschmerzen breiten sich aber wieder in ihr aus und sie muss sich kurz sammeln um nicht dem Drain nachzugeben. Nach der kurzen Verzögerung startet sie mit Knopfdruck den Motor und lässt sich nach Billings fahren. Unterwegs zieht sie ein paar Keilsandalen von der Rückbank, die sie nur trägt wenn sie privat unterwegs sind, und tauscht sie gegen ihre Sneaker. Das Runner-Kommlink stellt sie in den Do-not-Disturb Modus, und steckt es in die tiefen ihrer Tasche, während sie das Komlink mit ihrer RealSIN in ihre Rocktasche steckt.

In Billings angekommen fährt das Auto beim Montana Trail Hotel vor und Andromeda gibt an wo sie Parken möchte. Sie zieht ihre Sonnenbrille ohne irgendwelche eingebauten Spielereien auf. Dann nimmt sie die Tasche, schnallt Maya ab vom Sitz und leint sie an, und geht in das Hotel.

An der Rezeption zieht sie vorsichtig die Sonnenbrille wieder ab und sieht auf die doch etwas kleinere indigene Frau hinab. Wie oft hatte Jazz ihr eingebläut, dass jedes kleine Detail wichtig ist wenn man sich als etwas ausgibt was man nicht ist. Früher war das Imitieren mithilfe der physischen Maske wie ein Spiel gewesen, nicht etwas worüber sie sich Gedanken machte, aber inzwischen fühlt sie sich mit jedem Mal unwohler das Gesicht von jemand anderem zu tragen.

“Willkommen im Montana Trail Hotel! Was kann ich heute für sie tun?” Die Rezeptionistin lächelt sie mit einem Kunden-Lächeln an.

“Ich habe einen Büroraum gemietet für ein paar Stunden. Mein Flug wurde einfach gestrichen vor ein paar Tagen und ich habe einen wichtigen Termin mit Barcley’s” setzt Andromeda an und versucht ein bisschen den Sprachfluss von zu Hause zu imitieren um weiter zu unterstreichen, dass sie nur ein Tourist ist. So ungern Anglos momentan gesehen sind in der Sioux Nation sind Touristen mit Geld was sie ausgeben um dann wieder zu verschwinden doch ein bisschen etwas anderes.

“Natürlich.” Wieder lächelt die Rezeptionistin gespielt freundlich. “Unter welchem Namen wurde reserviert?”

“Kane. Cassandra Kane. Meine Partnerin hat für mich gebucht. Wissen Sie, ich hab so furchtbar schlechtes Netz in meiner Unterkunft, aber das ist ja alles was die Fluggesellschaft angeblich zur Verfügung stellen konnte. Wissen Sie -”

“Ah ich hab sie schon gefunden, Mrs Ramirez” unterbricht die Dame sie schnell ohne dabei genauer auf die ihr entgegen gehaltenen SIN-Daten ihrer FakeSIN zu schauen um dem unnötigen Gespräch aus dem Weg zu gehen. “Sie haben Meetingraum 4A, der sich im dritten Stockwerk befindet. Wenn wir noch irgendwas für sie tun können können Sie jederzeit die Rezeption anrufen.”

“Natürlich, vielen Dank!” Säuselt Nayad, schnappt sich die Schlüsselkarte und zieht dann Maya rüber zu den Aufzügen. Im Aufzug muss sie breit grinsen und macht einen kleinen Freudentanz, dass sie mal eine Gesprächssituation alleine erledigt hat. Da hat sich die Übung mit den Mädels im Camp doch gelohnt. Sie weiß, dass es nur ein kleiner Erfolg ist, aber Erfolg bleibt Erfolg.

In Büroraum 4A angekommen lässt sie Maya von der Leine und checkt erstmal offensichtliche Flächen nach Kameras, die sie abdecken wollen würde. Als sie keine findet nimmt sie aus ihrer Tasche ihr Tablet, den Stift dazu und ihre Wasserflasche. Darunter liegt etwas zerknittert ein geblümtes Tuch was sie sonst nutzt um ihre Schlangenhaare hoch zu binden. Cassie muss es eingepackt haben, falls Medea der Drain zu viel wird und sie muss lächeln bei dem Gedanken. Sie legt ihr teures Kommlink vor sich auf den Tisch, wählt direkt die Seattler Nummer, die ihr vor mehreren Wochen gegeben wurde, und versucht sich zu beruhigen sodass sie nicht einfach direkt auflegt.

Immer öfter in letzter Zeit hatte sie sich gefragt was sie überhaupt will und wo sie hin will. Etwas was Dr. Parker, ihr Therapeut, sicher unterstützen würde. Besonders die Frage nach ihrer Zukunft kam für sie immer wieder auf. Das Gefühl etwas im Leben zu verpassen fühlt sich neu an, aber seit sie es bemerkt hat vor ein paar Wochen kommt es immer wieder in ihre Gedanken. Besonders da Cassandra so genau weiß was sie tut, und das Thema “was tun wir in ein paar Monaten” immer wieder auf dem Jackpoint aufkommt, lässt sie das Thema an ihren eigenen Entscheidungen zweifeln. Ist studieren was ich will? Ist Astronomie das Richtige für mich? Will ich überhaupt in London sein? Dazu kommt natürlich die Frage, die sich ihr seit Boston stellt seit ihrem sehr kurzen Gespräch mit Dr. Percival, Was bin ich überhaupt? Und, wie ist meine Situation als Gorgone zustande gekommen?

Nach ein paar Freizeichen hört sie wie das Gespräch angenommen wird, ihre Zweifel unterbrechend.

“James Baker, Venus Clinic for Ethical Research?”

“Mr. Baker, hi!” stammelt sie. “Andromeda. Andromeda Atwood. Ich habe vor ein paar Wochen… Ehm… Naja eigentlich jetzt schon ein paar Monaten… eine Anfrage geschickt nach einer Empfehlung von der Familie Percival.”

“Miss Atwood, ich erinnere mich. Ich bin sehr überrascht von Ihnen zu hören. Nach der letzten E-Mail in der Sie sehr deutlich sagten, dass Ärzte und Forschung Ihnen furchtbar zu Bedenken geben.” Die ruhige etwas belustigte Stimme hilft Medea ihre Nervösität etwas zur Seite zu schieben.

“Oh ehm… Ja. Ja, ich hab immernoch Angst… Aber Sie haben mir in ihrer E-Mail ein Vorgespräch mit dem Arzt versprochen und… darüber wie das Ganze abläuft. Ich hätte aber noch einen Wunsch.”

“Natürlich. Das Gespräch ist kein Problem zu arrangieren. Es handelt sich ja bei Ihnen um einen abweichenden Zustand zu MMVV, daher wäre das Gespräch auch sehr wichtig damit wir entscheiden können ob wir Ihnen überhaupt helfen können. Wir können Ihnen natürlich keine konkreten Ergebnisse versprechen, aber ich habe einen sehr guten Forscher für sie ausgewählt, der sein möglichstes tun wird es zumindest zu versuchen. Wir haben viel Verständnis dafür, dass sie ihr Glück abseits eines größeren medizinischen Komplexes versuchen möchten.
Dafür gibt es zwei Optionen, sie kommen zu uns nach Seattle und können gleichzeitig sich direkt alle Räumlichkeiten ansehen damit sie für sich entscheiden können ob sie damit zurecht kommen. Die zweite Option ist ein unverfängliches Gespräch außerhalb der Forschungsstation. Das kann gerne in Seattle sein, oder wo immer das für sie hilfreich ist. Wir sind etwas Reisen hier schon gewohnt.” Aufmerksam hört sie dem Amerikaner mit dem leicht südlichen Drawl zu und es erinnert sie ein bisschen an Fifis Sprachfluss nur deutlich weniger prägnant. Auf ihrem Tablet macht sie sich ordentliche Notizen zu dem Gespräch.

“Das hört sich beides gut an. Ich werd mir überlegen was das Beste ist… Aber wäre ja schon gut das… Labor… “ Sie schluckt. “Und andere Räume zu sehen.”

“Überlegen Sie sich das wirklich in Ruhe. Wir sind da sehr flexibel und haben gott sei Dank einige Freiheiten da wir ungebunden sind.” Er pausiert während sie innerlich ihre Optionen schonmal abwägt. “Was wäre denn der zusätzliche Wünsch?” Fast schon amüsiert stellt James die Frage und Nayad hat das Gefühl, dass ihm diese Art Gespräch wohl öfter passiert.

“Ein Non Disclosure Agreement. … Ich möchte selbst Entscheiden welche Daten über meinen Zustand veröffentlicht werden, wenn überhaupt. Ich will auch, dass die Daten final bei mir sind…” Andromeda zögert einen Moment, weil sie weiß, dass es eine utopische Anfrage ist für eine Forschungseinrichtung und sie ist froh schon vor einigen Wochen eine groß´zügige Spende an die Einrichtung gemacht zu haben. Sie hat lange darüber nachgedacht wie sie mit den Forschungsdaten umgehen möchte und hatte es ausführlich mit Peter durchgesprochen, der sie desillusioniert hatte zu den Forderungen die sie stellen kann. Ein NDA könnte sie zwar rechtlich schützen wenn es darauf ankommt, aber wer weiß was sie herausfinden. Außerdem schützt ein solcher Vertrag sie nur so lange sich jemand daran hält. “Ich habe ein paar Punkte aufsetzten lassen von meinem Anwalt, die mir sehr wichtig wären und möchte diese gerne an unserem Gespräch besprechen.”

“Natürlich, schicken sie es mir durch und ich gleiche es ab mit den Verträgen, die wir sonst aufsetzen um unsere Patienten zu schützen. Ich muss Ihnen aber direkt sagen, dass das jegliche Kosten einer Vereinbarung in die Höhe treiben wird. Wir müssen uns schließlich auch finanzieren. Aber ich bin gewillt es mit Ihnen bei unserem gemeinsamen Gespräch zu besprechen. Sie können aber versichert sein, dass wir sehr seriös mit den Forschungsdaten umgehen. Dazu dann in ein paar Wochen mehr.”

“Alles klar… Dann schick ich das durch…”

“Kann ich das dann als ein… ‘Sie wollen den Prozess beginnen’ interpretieren?”

“Oh dios mio…" Sie zögert kurz, dann sagt sie entschlossen: "Si. Si, ich denke ich will den Prozess beginnen um rauszufinden was mit mir los ist.” Nervös beißt sie sich auf die Lippe. Eine kühle aber feuchte Schnauze stupst ihr Fußgelenk an. Ein kleines Lächeln zieht sich auf ihre Lippen, dann streichelt sie sanft Maya, die ihre Nervosität und Anspannung anscheinend bemerkt hat.

“Das freut mich zu hören, Miss Atwood. Dann freue ich mich auf ihre Antwort darüber wo sie sich treffen möchten. Wenn wir uns dann auf ein Angebot einigen können und sie denken, dass sie zurecht kommen, werde ich einen Vertrag aufsetzen lassen für sie. Ich bin auch sehr gespannt ihren Zustand real zu sehen. Es hört sich sehr interessant an."

„Oh… Ja, es ist definitiv anders.“ Stammelt sie. Sie ist zu gewöhnt, dass ihre Form andere eher verängstigt als das es interessant ist, aber sie wird sich wohl an diese neugierde gewöhnen müssen.

„Ich werde es ja sehen. Wie fühlen Sie sich denn gerade, Miss Atwood? Nervöser oder etwas entspannter jetzt wo das Thema angegangen wird?“

Andromeda pausiert und geht einen Moment in sich. „Ich glaube besser. Ich hab noch nicht wirklich angefangen es zu verarbeiten, aber ich will mein Leben nicht mehr von Angst und … Ungewissheit bestimmen lassen. Vielen Dank, dass Sie mir die Möglichkeit geben es überhaupt an ihrer Forschungseinrichtung zu versuchen… So ohne MMVV. Ich weiß, dass das eher eine Frage des Glücks wird…“

„Schon gut. Ich glaube ich habe einen Forscher der sehr gut zu Ihrer Situation passt und wenn wir helfen können tun wir das sehr gerne. Ich habe jetzt noch einen weiteren Termin, aber ich schicke ihnen alle Details nochmal per Mail und dann sehe ich sie beim Gesprächstermin. Einen schönen Tag wünsche ich ihnen noch, Miss Atwood!“ James verabschiedet sich von Medea, dann beendet sich das Gespräch.

Einen Moment lang ist es vollkommen still, dann lässt sie ein erleichtertes seufzen aus. Geschafft. Ein kleines Lächeln legt sich auf ihre Lippen. Sie ist einen Schritt näher daran Antworten zu finden über ihre Herkunft. Glücklich streichelt und kuschelt sie einen Moment Maya, dann packt sie ihre Sachen wieder zusammen. An Peter, ihren Schwager, schickt sie aufgeregt eine Nachricht, dass das Gespräch gut lief und dann verlässt sie schnell das Hotel um zurück zum Camp zu fahren mit ein paar Umwegen.

Im Camp angekommen löst sie als erstes ihre physische Maske wieder, dann packt sie im Auto noch ihr Kommlink mit der RealSIN wieder weg und das Runnerlink wieder aus. Das Runnerlink zeigt ihr einige neue Nachrichten an und schnell tippt sie aus, dass Jazz sich keine Sorgen machen soll weil sie wieder im Camp ist. Cassie wartet bereits und begrüßt Nayad mit einem breiten Lächeln. Als Medea zurück lächelt und nickt, stürzt ihre Freundin mit einem kleinen glücklichen Schrei auf sie zu um sie zu drücken. Andromeda legt ihre Stirn an die Schulter der Kräuterhexe und kuschelt sich an. “Ich freu mich so für dich, Andromeda…” flüstert Cassandra sanft als sie der Gorgone einen Kuss auf die Wange drückt. “Das wird für dich so einen Unterschied machen, Liebes…”

Medea nickt mit einem breiten Lächeln. “Ich denke auch…” Vorsichtig nimmt sie die Hand ihrer Freundin als sie sie mit zum Van zieht um ihr alles über das Telefonat zu erzählen.

2 „Gefällt mir“

Ich bin ja gespannt, was da dann rauskommen wird! :eyes:

Sehr schöne Fiction :blush:

2 „Gefällt mir“

Hehehe das wird alles noch etwas dauern, aber es wird ganz cool :smiling_face:
Merci :green_heart:

1 „Gefällt mir“

Hoffentlich stirbt sie nicht wieder bevor du die Geschichte erzählt hast, das wär sehr schade :smiley:

2 „Gefällt mir“

Ehy ich geb mir mühe! Das war das erste Finale wo sie nur K.O war auf einer Seite! :joy: Und sie macht ja jetzt erstmal ein Päuschen :smiley:

2 „Gefällt mir“