Vaterkomplexe - Sunny und Dr.Percival

Sunnys Vater schwenkt eine Schachfigur in seinen Händen die er danach wohlbedacht platziert. “Na, ist es wie mit Mr. Kendall?”
Sunny grübelt. “Nein… Ben spielt schlechter als du.” Dann lacht sie.
“Als Kind hast du mich meistens besiegt. Du bist nur nicht 100% bei der Sache Ellie. Liegt dir etwas auf dem Herzen?”
“Hm… Ehm… Also… Wir reden ja nicht über…”
Dr. Percival lächelt verständnisvoll. “Dreh dich um. Schau das Bücherregal an. Es ist einfacher wenn du mich nicht ansiehst, über deine Gefühle zu sprechen. Versuch es.”
Seine Tochter dreht sich mit dem Bürostuhl um.

Sunny schließt die Augen und holt tief Luft. Die Dinge in ihr müssen raus. Und besser hier als vor den Anderen. “Naja es ist total offensichtlich dass Daisy mit dieser Punkrock-Mara schläft. Hab ich ihr sofort angesehen. Aber sie redet nicht mit mir drüber! Kein Wort. Früher haben wir immer über alles geredet. Nayad hat schon genug eigene Probleme, aber das Joggen mit ihr im Haus ist ganz nett. Und… Ich mag Tower super gerne und ich weiß dass ich mit ihm alles besprechen kann aber mein Problem kommt mir so belanglos vor. Und er ist eben auch kein gleichaltriges Mädchen. Und Callahan und Aiden sind zwar ansatzweise gleich alt, aber versuchen beide nur irgendwie mich zu beeindrucken. Du hättest sie Freitag, als wir bei Callahan waren, sehen sollen. Patrick hat sich benommen wie ein Platzhirsch und Aiden war dabei so verunsichert, dass er nichts gesagt hat. Also bin ich mit ihm noch ein bisschen durch Cambridge gelaufen und hab mit ihm über Ares gesprochen, dann ging es schon wieder.”

Dr. Percival nickt hinter Sunnys Schulter. Ihn beruhigt es etwas, dass seine Tochter durchaus auch noch ganz normale Teenager-Probleme hat obwohl sie in einer Zombieapokalypse mit Runnern festsitzt.
“Daisy wirkt wie ein sehr netter Mensch Ellie. Aber eben auch wie jemand der viel alleine klarkommen musste. Vielleicht ist ihr nicht bewusst, dass du jemanden zum reden brauchst, weil sie es nicht braucht.” Er nippt an seinem Kräutertee, den er sich und Elana vorher bereitgestellt hatte.
Da hatte er wohl recht. “Warum kannst du Aiden nicht leiden, Dad?” Sunny hat das Gefühl zum ersten Mal seit langem wirklich frei mit ihrem Vater reden zu können.

Sie hört sein schweres Atmen und wie er sich den Bart kratzt.
“Es ist schwierig für einen Vater zu sehen wenn sein kleines Mädchen nicht mehr nur als kleines Mädchen wahrgenommen wird. Ich… für mich warst du gerade erst 5 und hast mit Barbies gespielt und jetzt zeigen plötzlich Männer Interesse an dir. Ich habe auch das Gefühl, vollkommen verpasst zu haben wie du erwachsen geworden bist. Und das projiziere ich auf diese Leute da draußen. Besonders auf Mr. Kendall. Er war für dich da und hat erlebt wie du erwachsen wurdest. Ich wurde irgendwann wach und hatte ein erwachsenes Kind. Das bereue ich wirklich. Meine Forschung war bahnbrechend und ich habe eine Menge guter Dinge zusammen mit Evo getan. Aber das hätte nie auf deine Kosten gehen dürfen.”

Sunny bleibt stumm. Sie starrt gegenüber auf ein Regal dass über AROs die Buchsammlung ihres Vaters abbildet. Ein etwas übertrieben schicker Weg seine EBooks auszustellen.
“Tobias… Der Junge der einmal bei uns zu Abend gegessen hat? War er… nett?”
Sunny schnaubt. Tobi, ihr einziger Freund bisher, mittlerweile Fischfutter im Seattler Hafen. “Wir haben nicht… Er wollte, aber ich nicht und dann ist er gegangen und das war total fine für mich.”
Er versucht es zu verstecken aber Sunny kann ein erleichtertes Aufatmen von ihm hören. “Deine Mom hat darüber nie mit mir…”
“Mom weiß davon nichts.” Sunny fährt sich durch die Haare, sie spürt wie Wut in ihr aufsteigt. Wie konnte ihr Vater wirklich denken sie würde mit ihrer überkritischen Mutter über mehr als die Deko der Villa in Bellevue reden?
“Nicht?” Er klingt überrascht. Wie kann er überrascht klingen?!
“Mit welchem erwachsenen hast du denn dann…?”
“Mit keinem. Und das ist ok. Ich komme zurecht.” Sie dreht sich zu ihm um. “Dad ich habe ungefähr mein halbes Leben dabei zugesehen wie Mom irgendwelche Kunstkritiker und du deine Doktorandinnen… Ich glaube nicht an Beziehungen. Ich weiß, für euch war das okay. Aber ich könnte dieses ganze ‘nach Außen wie ein absolut perfektes Ehepaar wirken und dann sowas’ nicht. Außerdem habe ich ein so schlechtes Gewissen irgendwann ein Drittel der größten Waffenfirma zu übernehmen, da will ich gar niemanden mit rein…”

Ihr Vater lacht. Wieso lacht der Mann? Sunnys Miene verfinstert sich. Er nimmt sein Komlink vom Tisch und spielt eine Audiodatei ihrer Mutter ab. Sie muss ein paar Jahre älter als Sunny sein auf der Aufnahme. “Christopher ich will das alles nicht. Ich will diese Waffenfirma nicht. Ich will dieses Vermächtnis nicht. Diesen Namen nicht.”

“Das habe ich ihr in den 30 Jahren jedes Mal vorgespielt wenn sie drohte etwas vom Boden abzuheben. Elana, alle 3.5Sekunden wird weltweit jemand mit einer Waffe von Ares Arms erschossen. Das ist nicht schön aber es ist unser Vermächtnis. Ich hatte die Chance mich aktiv dafür zu entscheiden. Deine Mutter und du nicht. Ich konnte mich immerhin durchsetzen, dass du nicht Markston heißt. Es ist ok wenn du dieses Vermächtnis noch nicht annehmen willst, man wächst da hinein. Und deine Mutter ist zwar 55, aber als Elfe wenigstens noch 25 Jahre im Dienst. Genieß diese Zeit, beruflich tun zu können was du tun willst. Aiden kannst du noch früh genug rumschubsen.” Er lacht kurz auf und wird dann nachdenklich. “Ich halte Aiden übrigens nicht per se für einen schlechten jungen Mann. Eigentlich sogar für einen sehr ordentlichen. Ordentlicher als ich es in dem Alter war. Für den Namen Percival und so innerhalb des Ares Gefüges wäre es vermutlich sogar eine sehr schickliche Sache. Sei froh, dass Mom nicht hier ist, sie hätte Reginald schon gezwungen Dinner-Dates für euch auszurichten. Aber…” Seine Miene wird etwas ernster. “Im Sozialgefüge, die Ränge komplett außen vor gelassen, würdest du immer über ihm stehen Elana. Und ich habe über die Jahrzehnte beobachtet, dass damit viele Männer Probleme haben. Ich denke, dass jemand eines anderen Konzerns wie Patrick Callahan eine einfachere Wahl darstellen würde, falls du dich irgendwann doch dazu entschließen möchtest einen Partner im Leben zu haben. Deine Mom und ich führen sicherlich nicht die perfekte Ehe die Bellevue glauben mag, aber wir haben uns über Jahrzehnte gegenseitig sehr enorm den Rücken gestärkt. Tu einfach das was sich für dich richtig anfühlt. Solang es nicht mit Mr. Kendall ist!” Er schlägt sich Überspitzt die Hände vors Gesicht und gibt eine theatralische Mimik zum besten.

“Ich bin überzeugt dich zu einer tollen Elfe miterzogen zu haben Elana. Das beweisen schon allein die Leute in diesem Haus denen du sofort Obdach gewährt hast. Und daran wie du Aiden versuchst du verstehen und zu unterrichten.”
“Ich hab mit Daisy und Doyle an der Uni die KI nachgebaut, die fast Holliday und Leyla umgebracht hätte und an der Leyla sich vermutlich KFS geholt hat. Nur weil ich denke, dass der wissenschaftliche Fortschritt es wert ist. Sie ist jetzt am MIT&T und ich will sie hier her holen. Ich weiß nur nicht wann oder wie, oder wie viel ich dem Rest davon erzähle.”
Ihr Vater mustert sie kurz. Dann zuckt er mit den Schultern. “Klingt als könntest du mal toll eine Waffenfirma leiten.” Dann lachen beide etwas zögerlich. “Denk an Butch Elana. Forschung ist nicht immer moralisch Einwandfrei. Aber wissenschaftlicher Fortschritt ist obligatorisch.”

“Denkst du das haben auch die Leute gesagt, die Technomancer…”
Er unterbricht sie: “Ich fürchte ja. Und wenn ich mir euren Datacore so ansehe… Gibt es davon allein in dieser Stadt sehr viel mehr Leute, als uns vielleicht bewusst ist Ellie. Aiden ist hier sicher. Technomancer sind zwar meldepflichtig aber das sind erwachte auch und ich würde nicht darauf schwören, dass Nayad wirklich gemeldet ist. Und Desiree ist SINlos und… Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es mir dann auch ehrlich gesagt egal. Ich möchte nur nicht dabei zusehen wie du oder Aiden mehr und mehr in dieses Milleu abrutscht, wo ihr es so viel einfacher haben könnt… “
“Werden wir nicht, Dad. Runnen gab mir immer das Gefühl irgendetwas gutes der Gesellschaft zurückgeben zu können. Aber es hat mich nur tiefer und tiefer in Probleme geführt… Ich hätte dir nie die KFS Daten überspielen können wenn… Und dann wärst du einfach noch bei EVO und alles wie immer.”

Er schüttelt den Kopf und greift über das Schachbrett hinweg ihre Hand. “Nein das hast du gut gemacht Elana. Ich bin selbst schuld, dass ich die Daten veröffentlicht habe. Aber deinen Drang das richtige zu tun hast du eben von mir. Ich bin sehr stolz auf dich.”
Die beiden stehen auf und Percival drückt Sunny an sich.
“Ich wollte immer nur, dass du stolz auf mich bist.” Sunny beginnt zu schluchzen. All die Turniere mit ihren Springpferden, die Quälerei im Balletttraining, die unermüdlichen Stunden die alle darauf abzielten schneller, besser hacken zu können, jede Prüfung am MIT&T, all das war immer nur um ihre Eltern glücklich zu machen. Natürlich hatte sie all das auch gewollt, aber der Motor war, von ihrem Vater gesehen zu werden.
Sunny denkt an ihren Tiefpunkt zurück. Als ihr Vater überraschend Zeit für sie gehabt hatte und sie mit einer üblen Schrotflinten-Wunde ihre Ballettaufführung vor ihm geprobt hatte. Nur der dunkelrote Tanzrock hatte das Blut verdeckt, dass ihr Bein herunterlief.

Ihr Vater sieht ihr in die Augen. “Es ist verdammt gruselig, dass mein kleines Mädchen plötzlich größer ist als ich.” Er lacht, dann klingelt sein Komlink. “Ares. Rufen Konzerner regelmäßig an um zu checken ob alles okay ist. Nicht dass sie jemanden vorbeischicken könnten wenn nicht. Aber so können sie hinterher behaupten sie hätten sich gekümmert.”
Sunny nickt und lächelt. “Danke fürs Gespräch Dad, hat sehr gut getan.”
“Machen wir jetzt öfter. Ich hab dich lieb Ellie.”
“Ich dich auch Dad.”

Dann verlässt sie das Büro und steht auf dem oberen Stockwerk des Townhouses.
Irgendwo hört sie Nayad und Daisy diskutieren.
Irgendwo anders bellen die Hunde.
Doyle und Reginald schienen über das Mittagessen zu diskutieren.

Ein blonder Mensch in Sunnys Alter huscht über den Flur. “Alles gut?” Er streckt kurz den Kopf in Sunnys Richtung.
Sunny macht ein paar Schritte auf den jungen Menschen zu und umarmt ihn, der perplex da steht und nicht zu realisieren scheint was da eigentlich passiert.
“Ich bin froh, dass es dir gut geht. Es ist schön jemand anderen hier zu haben, der diesen Kon-Terror versteht. Komm, lass uns üben gehen!” Sie zieht Aiden hinter sich her.

Durch die angelehnte Tür des Arbeitszimmers konnte Dr. Percival seine Tochter belauschen. Still lächelt er in sich hinein. Teenager funktionierten immer noch wie vor 35 Jahren. Seine Frau würde stolz auf ihn sein.

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Schön zu sehen, dass die Zwei sich mal aussprechen konnten :blush:

Wie immer sehr schön geschrieben :heart:

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Dr. P ist nett, aber… nicht zu nett.
Er ist so richtig ein schlechter erfolgreicher Business-Dad, der lieber ein guter erfolgreicher Business-Dad sein will, und nicht versteht, dass das nicht gebraucht ist. Sehr schön getroffen :slight_smile:

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Hat nicht mal eine Startszene auch damit angefangen, dass Sunny mit einer Schrotflinte ins Bein geschossen wurde und sie über den Balkon in ihr Zimmer geklettert ist?
Kann aber sein, dass das vor der Kampagne war :smiley:

Auf jeden Fall sehr schön geschrieben.
Zeigt, dass auch Sunny nicht alles abblocken kann, auch wenn sie meist recht abgehärtet scheint.

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Das war die Startszene zum Run mit Lazyhead.
Das was ich hier beschreibe war tatsächlich eine Startszene nach dem Run, in dem sie damals Tobi im Hafen gefunden haben mit den Yakuza :smiley: das war aber noch am Tisch gespielt

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Dann hatte ich das richtig in Erinnerung, war mich auch so, dass das vor der Kampagne war ^^
Schrotflinten Schüsse im Bein, ein Alterungszauber. Das Mädchen muss mehr auf ihre Beine aufpassen, sonst muss sie irgendwann immer lange Beinkleider tragen ^^

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So jetzt komm ich auch mal dazu! :star_struck::star_struck::star_struck: Es ist sooo schön geschrieben! :smiling_face_with_three_hearts:
Du hast besonders schön die Gesprächsthemen der letzten Wochen aus dem Jackpoint aufgegriffen und wie Paul sagt: Dr. P sieht irgendwie ein, dass er was verpasst hat aber irgendwie auch auf der Kante von „aber meine Forschung“. Super getroffen! Es ist auch einfach schön, dass jemand noch „Teenager“ Probleme hat und wie sie sich damit in dem Gefüge von dem ganzen Chaos fühlt. :blush:

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