13.2.2078 - Hub Kirche
Mit schwerem Herzen überblickt Maple ihren neuen Gang Hub vom Glockenturm der kleinen Kirche aus. Zäh weht die Flagge der (Holo)-Graphic Violence im kühlen Februarwind Puyallups. Ihre Beine baumeln vom Ausguck, als sie den Rest ihrer Gang dabei beobachtet, wie sie nach und nach ihr Lager an diesem Ort aufschlagen, der von Tag zu Tag ein bisschen weniger trostlos wird.
Ihre Gedanken schweifen ab, zum letzten Zeitpunkt, als sie Personen beobachtete, wie sie ein Lager aufschlagen.
Ca. ein Jahr zuvor. Tripoli Hot Zone - Heutiges Lybien. Basislager ARES Battalion 27C3
Lächelnd drehte Maple ihr Gesicht in den warmen Wüstenwind. Diese Momente hatte sie zu Hause in Wisconsin vermisst. Den leichten Druck, den ihre hochmoderne Kampfpanzerung auf ihren Körper ausübt. Die gepanzerten Lederstiefel. Den Geruch nach einer irgendwo in einer Feldküche herbrodelnden Suppe und die herzlichen Unterhaltungen der gerade frisch eingetroffenen Soldaten.
“Das Ende dieses Krieges sehen nur die Toten.” Das hatte ihr Major ihr letztes Jahr bei ihrem ersten Aufenthalt in Tripolis gesagt. Ares hält die Leute, die im Wüstenkrieg - eine Kriegssimulation ausgefochten zwischen den 10 Megakons in Mitten der Sahara - gerne frisch. Wer die mehrere Tage andauernden Schlachten überlebt, bleibt 3-6 Monate bis er zur Erholung in die Heimat darf, um dann später in der neuen öffentlich ausgestrahlten Staffel wieder teilzunehmen.
Eben dieser Major, ein hochgewachsener Ork in den 40ern der sich selbst nur “Der Major” nannte (sehr verwirrend, ob der Masse an Majors vor Ort), klopfte ihr nun herzlich auf die Schulter. “Der dritte Stern steht Ihnen ausgezeichnet Morrison."
Sie strich über ihren frisch verdienten Orden, der sie als Lieutenant auswies, die Prüfung hatte sie vor nicht einmal einer Woche abgelegt.
“Archer müsste gleich mit Ihrem neuen Corps kommen. Sein Heli ist vor 15 Minuten gelandet. Schön, dass Sie zwei es wieder gemeinsam in unser Team geschafft haben. Die Stimmung unter den neuen Rekruten ist immer besser, wenn Archer sich um sie kümmert.”
In diesem Augenblick bog eine Gruppe junger Metas um eines der großen Zelte. Angeführt wurden sie von ihrem Lieutenant, Jackson Archer, ein hoch gewachsener Mensch mit maskulinem starken Gesicht, goldbraunen Augen und ebenfalls drei Sternen auf seiner Rüstung. Sein Kopf war rundherum rasiert, doch aus dem längeren braunen Oberhaar lösten sich ein paar Strähnen, die er sich aus dem Gesicht strich, als er vor Maple und dem Major zum Halten kam. Archer hatte sich bereits während ihrer Highschool Zeit der Ausbildung der jüngeren Rekruten verschrieben und diesbezüglich hatte sich nie etwas geändert. Hinter ihm trottete eine zwanzig köpfige Gruppe junger unterschiedlichster Metas her. Er lächelte Maple warm zu und öffnete ein ARO und las laut vor: “Moore, Harris, Watson. Antreten.” Drei junge Metas, zwei Menschen und ein Ork traten hervor und stellten sich ordentlich auf. Archer fuhr fort: “Ihr bildet unter der Führung von Lieutenant Ava Morrisson das neu gegründete Phaidra Squad. Lieutenant Morrisson, die Soldaten sind alle Bestschüler aus den Programmen in New Orleans, New York und Miami. Allesamt ausgezeichnete Scharfschützen, wie angefordert. Sie werden zufrieden sein.”
Maple nickte professionell und knapp. Einer der Menschen lehnte sich um den Ork herum. Sein ARO wies ihn als Soldat Harris aus. “Ehm… Archer… Ich… Sie ist… Lieutenant Morrison? Ich dachte… ich dachte wir werden jemandem unterstellt der irgendwie… größer ist.” Der Mensch wirkte ernsthaft verunsichert.
Hinter ihm grölte Kina, eine 40-jährige Zwergin, einen empörten Fluch und der Major neben Maple verkniff sich ein Grinsen.
Maple wollte gerade etwas erwidern, dann griff Archer bereits ein. “Lieutenant Morrison war bereits auf mehr hochrangigen Militär Schauplätzen platziert, als du vermutlich jemals sehen wirst. Sie ist eine herausragende Scharfschützin und noch nie ist eines ihrer Teammitglieder verstorben. Sie hat mehr taktisches Geschick in ihrem kleinen Zeh als ihr Frischlinge in eurer…” Er seufzte und wandte sich Maple zu. “Lass sie ein paar Runden rennen, ja?"
Der Major neben ihr meldete sich zu Wort. “Außerdem ist sie Archers Verlobte, also wäre ich etwas vorsichtig, was ich sage. Nichtsdestotrotz werden Sie hier schnell lernen, dass Sie hier nicht nach den Äußerlichkeiten gehen können. Wir haben hier Zwerginnen die einem ausgewachsenen Troll mit Kampfmessern an die Kehle springen und 70 Jährige Menschen, die Kampfmechas steuern. Schamanen, Kampfmagier, Sie werden hier alles sehen. Vielleicht ist Ava auch die erste und einzige Dryade, die Sie jemals sehen werden. Bemühen Sie sich, jede Expertise mitzunehmen, die Sie kriegen können. Sie werden sie brauchen. Nur die Toten sehen das Ende dieses Krieges.”
Mit diesem rituellen Satz war die Zuteilung beendet und Archer zog weiter zum nächsten Lieutenant. Maple blieb mit ihren Soldaten zurück und begab sich mit einer auffordernden Handbewegung in Richtung der Materialausgabe.
“Ich hab gehört sie ist die Tochter von Scharfschützengott Major Carlisle Morisson.”
“Ich hab gehört, ihr wurde einfach ne ultra krasse Headware verbaut und deshalb schießt sie alles kaputt, was sie sieht.”
“Ich hab gehört sie war ein Jahr in Guantanamo und hat in Chicago Insektengeister gejagt”
“Ich hab gehört, sie hat mal jemanden mit ihren Oberschenkeln erwürgt.”
“Ich hab gehört…”
Maples Geduldsfaden riss. “Meine Güte haltet sofort die Fresse, das ist ein Befehl! Mein Name ist Ava Virginia Morisson. Ich bin die Tochter von Carlisle Morisson. Ja, der Chicagoer Scharfschütze. Meine Mutter ist Dr. Virginia Morrison, Feldärztin und Traumatologin. Ja ich habe im Guantanamo Stützpunkt gelebt. Ist kacke da. Mein Dad saß in einem der Helis die ARES geschickt hat, um Project Panaios zu retten. Nein, ich weiß nicht ob sich da wirklich ein Dimensionsriss aufgetan hat, ich denke aber nicht. Ja ich habe eine hoch experimentelle Headware auf der ARES mehrere neue waffengestützte Systeme testet. Ja, diese tragen auch einen Teil zu meinem Erfolg bei. Trotzdem reiße ich gerne jedem von euch den Arsch auf, wenn ich muss. Gibt’s noch irgendwelche Fragen, die unser Überleben sichern?” Einer der Jungs holte Luft. Sie fiel ihm ins Wort. “Archer und ich sind seit der Middleschool ein paar. Wir haben uns nach der Grundausbildung verlobt. Wir heiraten im nächsten Sommer. Ich werde eine eierschalenfarbene Spitze tragen.” Ihr Tonfall wurde deutlich genervt und der Junge schloss den Mund.
Am Abend, nach dem Essen saß sie mit Archer auf einer erhobenen Düne und sah einer Gruppe von jungen Soldaten und Soldatinnen zu, wie sie auf Verpackungsmaterialien eine Düne hinuntersausten. Archer wollte sich aufrappeln, aber Maple hielt ihn zurück. “Lass sie. Man wird hier schnell genug erwachsen. Sie sollen Spaß haben, so lange sie können.” “Sollten wir sie nicht wenigstens warnen, dass hier alles wegen der Atombombe strahlt?”
Maple winkte ab.
Archer nickte. “Es gab heute wohl eine große Gruppe Opfer, weil NeoNET neue EMP Technologie getestet hat.” Er schaute sie mit traurigen Augen an. “Ich wünschte, wir würden nicht immer an unterschiedlichen Enden des Schlachtfeldes…"
“Hör auf Arch. Es ist besser so. Wenn wir da draußen sind, habe ich 1000 Sachen im Kopf und keine davon darfst du sein.”
Er lächelte ein warmes, träges Lächeln und küsste ihre Schläfe. Es war friedlich und ruhig. Das würde mit Pech eine sehr lange Zeit nicht mehr sein. Sie lehnte sich an ihn an und spielte mit ihrem schlichten Verlobungsring, den sie um den Hals trug.
“Ich hab noch was für dich.” Der Mensch drehte sich um, Maple hatte sich schon gefragt, was in dem großen Paket war, das er unbedingt mitschleppen wollte. Er klappte zwei Hebelverschlüsse auf und vor Maple öffnete sich ein persönlicher Traum. Ein Nigel Nagel, neues Scharfschützengewehr, hochmodern und spektakulär. Er strich an einer Oberfläche über das Gewehr und einige AROs leuchteten auf. “Ich dachte wenn wir bei Ares schon eine griechische Baumnymphe haben, hat sie ein Gewehr verdient, das ihrer würdig ist.” In einem chromatisch leuchtenden Schriftzug prangte auf der Seite, was sich zu Maples neuem Spitznamen auf dem Schlachtfeld entwickeln sollte. ”Athena”.
Jenes wunderschöne Gewehr, das vor ihren Augen gegen sie gerichtet wurde, von ihren eigenen Soldaten, am Tag, als sie vor Ares fliehen musste. Als sie ihre Heimat und ihre Familie, ihre Karriere und alles was sie liebte, hatte sie hinter sich lassen müssen.
Aber das wusste Wüstenkrieg-Athena noch nicht. Sie wusste, dass sie das, was sie tat, liebte. Auch wenn es ein sinnloser, nutzloser Krieg war und jedes Opfer ein verschenktes Metaleben auf Kosten von Kon-Größenwahn.
Nach einigen Wochen der Erziehung lernte sie Harris, Watson und Moore lieben. Moore, der immer alle zum Lachen brachte, weil er nicht daran denken wollte, was sie hier eigentlich taten. Watson, der jede Nacht weinte, weil er seine Familie und seinen Freund in der Heimat vermisste. Und Harris, den sie zwar häufig so viele Runden rennen lassen musste, bis er kotzte, aber der die besten Pfannkuchen der Welt machte.
Moore, der in einer Nachtaktion von Red Samurai im Schlaf erstochen wurde.
Watson, der versucht hatte, sie zu retten, vor dem, weswegen sie fliehen musste, aber auch nur Befehle befolgen musste. Der letzte davon war, ihr die Cyberkrallen zu ziehen.
Harris, der sie selbst an diesem Stuhl in der kalten Laboranlage in Chicago festgeschnallt hatte.
Und Archer. Archer den sie einst so sehr liebte, dass sie sich keine Sekunde ohne ihn vorstellen konnte und von dem sie sich fragte, nun wieder im hier und jetzt auf dem Glockenturm in Puyallup angekommen, ob er überhaupt noch manchmal an sie dachte und was sie ihm erzählt hatten wieso sie geflohen ist.
Betrübt nimmt Maple noch einen Schluck des neben ihr stehenden Biers.
“Jetzt neu, Ares Athena! Ihr liebstes alkoholfreies zuckerfreies Bier mit Himbeeraroma.”
Ava Morisson, jetzt Maple lächelt, als ihr die Tränen in die Augen steigen.