Reine Natur - Nayad

Butte Above,
Montag den 02.05.2022

Vorsichtig drückt Cassandra Andromeda einen Kuss auf die noch etwas klamme Stirn. Eine Erkältung von einem Wendigo-Run nach Hause bringen ist nichts und Cassie ist dankbar, dass es nur das ist. Schon in Boston hatte sie kennen gelernt, dass die Gorgone sich schwer damit tut ihren Körper und ihre Wunden zu schonen. Sie hatte laute Beschwerden erwartet als sie ihr sagte, dass sie gefälligst im Bett bleiben soll während der Fahrt nach Butte, aber Medea hatte etwas resigniert eingesehen das sie keuchend und hustend wenig Hilfe war.

Sie war dankbar, dass Violet sich an dem Morgen um Medea gekümmert hat. Zumindest muss sie sich jetzt nicht mehr anhören, dass der jüngeren Frau langweilig ist. Im Gegenteil, jetzt ist die Gorgone wieder voller Tatendrang. Cassie sieht ihr zu wie sie vorsichtig die Teile ihres Gewächshauses zusammenbaut. Noch keucht die Gorgone etwas dabei und trotz Fieber hemmendem Mittel stehen ihrer Freundin Schweißperlen auf der Stirn. Für sie ist es selbstverständlich wieder zu Helfen sobald sie wieder mehr als drei Meter gehen kann und das Mittel was Violet ihr gegen die Erkältung gegeben hatte hat sehr gut angeschlagen. Cassie kann den mulmigen Gedanken nicht verkneifen das die Gorgone irgendwann einen Crash haben wird der sie erschüttern wird. Es ist nicht Übermut in dem Sinne der Unbesiegbarkeit. Nein, dafür kam die Gorgone zu oft mit neuen Wunden nach Hause oder mit ernstzunehmenden Drain. Es ist Medeas grundsätzlicher Gedanke, dass sie es aushalten kann. Schmerzen? Egal. Weiter. Schwummrig von Drain? Egal. Weiter. An der Grenze ihrer Magie? Egal. Weiter.

“Denk dran, um vier haben wir einen Videocall mit Fifi wegen dieser Blutritual Sache,” erinnert sie sie. Angestrengt zieht die Gorgone ein paar Schrauben nach. Das Gewächshaus ist praktisch und portabel. Viel wichtiger, es war nicht zu teuer als Nayad es ausgesucht hatte vor ein paar Wochen. Seit einiger Zeit stolpert Cassandra schon über die Kisten im Van und sie ist froh, dass sie nun endlich aus dem Weg sind. Das Gewächshaus hat ein cleveres Steck System. Eine Seitenwand besteht aus zwei Teilen, dazwischen klickt und schraubt man ein Regal für die Innenseite für Werkzeug oder kleinere Blumentöpfe. Dazu kommt ein kleines Dach. “Si, si” murmelt Medea als sie nach dem nächsten Teil greift um herauszufinden wo es hin gehört.

“Ich würde gerne gleich mit dir noch ein Stück spazieren bevor wir den Termin haben… das tut dir gut.”

“Si… Wenn ich fertig bin, ok?” antwortet die Gorgone zustimmend ohne sie anzusehen. Dann zögert sie einen Moment, sieht Cassandra entschuldigend an und lächelt sanft. “Wenn ich fertig gebaut habe. Blumen einrichten kann ich heute Abend machen.”

“Na gut,” nickt sie und tritt wieder in den Van. Sie seufzt leise und reibt ihre Schläfe als sie sich an den kleinen Arbeitstisch im hinteren Teil des Vans. Ihr Fuß wippt rhythmisch gegen eine kleine Kiste mit Schalen und Mörsern unter dem Tisch. Sanfe Federn schmiegen sich an ihre Hand. Vorsichtig dreht sie ihre Hand damit der Steinkauz aufspringen kann. Der kleine plüschige Kopf der Eule blickt sie an, “Müde, Cassandra?”

“Ein bisschen… Lange Tage… und noch längere Nächte machen einen müde…” Sie hebt langsam die Hand damit der kleine Vogel auf ihre Schulter springen kann. Sanfte Federn reiben sich an ihren Hals.

“Wir könnten jetzt zu Hause sein in London und - “

“Und was? Das ist nicht unser zu Hause, Archimedes. Es ist Medeas.”

“Irgendwann musst du es ihr sagen, Cassandra… Wenn du willst, dass das unser zu Hause wird… Du kannst sie nicht vor der Situation Schützen” raunt der Vogel mahnend.

“Das versuch ich gar nicht… Diese Frau schützen bringt gar nichts. Dann rennt sie nur mit dem Kopf durch die Wand. Jetzt lass das Thema Archimedes… Ich muss was für Baby Alexander zusammen stellen für Piper und Blair.”

“Pff” murrt der Steinkauz. Dann springt er über ihren Arm hinab zum Tisch. Während sie langsam ihre Kräuter zusammen sucht und bindet. Der kleine Vogel nippt an den Kräuterbüscheln, dann starren seine großen Augen seine Magierin an.

“Was denn?” Einen Moment lang sieht sie den Vogel an, dann die Kräuter, dann wieder den Vogel. Plötzlich greift sie zu ihrem Tablet und blättert durch ihre Sammlung an Spruchzaubern, die sie über die letzten Jahre angelegt hatte. Viele Magier und Magierinnen Zaubern anders. Jede hat seine persönliche Note. Erfahrung, Magietradition, und der persönliche Charakter ändern viel an der Art und Weise, wie ein Magier einen Spruchzauber nutzt. Was nicht individuell ist ist das Grundverständnis der Magie dahinter. Das Wissen, dass man als Magier auch nur Mana, den Astralraum, oder die Welt um sich herum formt. So gut sie kann katalogisiert sie die verschiedenen Anwendungsarten der Spruchzauber.

Sie stockt einen Moment, dann dreht sie das Tablet zu Archimedes. “Entgiftungszauber! Das ist genau was sie jetzt braucht hier in Butte. Das ist super! Sogar von der UTA [United Talismongers Association] empfohlen. …Das kann ich ihr gleich geben…” murmelt sie vor sich hin mit einem kleinen Lächeln. Sie war so konzentriert gewesen auf alles Andere, dass sie vergessen hatte das die UTA spezifische Zauber empfiehlt für das Sammlen von Reagenzien. Der Desinfektionszauber ist bei Medea verlorene Lebensmühe, aber Entgiftung? Solange Andromeda ihre Finger nicht von Pflanzen lassen kann ist das ein Zauber der ihr viel bringt.


26.05.2077
Fairy Lake außerhalb Bozeman, nähe Sacagawea Peak

Milde Sonnenstrahlen wärmen angenehm ihr Gesicht als Andromeda auf der Terasse liegt mit einem weichen Kissen im Nacken und einem Arsenal an Tränken in einer Kiste zu ihren Füßen. Cassandra liegt neben ihr auf einer Liege und liest ihr Buch, als ein Wecker auf ihrem Komlink anfängt einen kleinen Jingle abzuspielen. Unbemerkt verdreht die Gorgone die Augen.

“1 Uhr. Zeit für den Entzündungshemmenden Trank,” wirft Cassie ihrer Freundin entgegen während sie schon aufsteht um den Trank aus der Kiste unter dem Stuhl zu holen. Neben ihr macht Medea ein leises würgendes Geräusch.

“Stell dich nicht so an, Kleines, runter damit.” Medea verzieht das Gesicht als ihr der Trank unter die Nase gehalten wird, dann nimmt sie das Fläschchen und trinkt es schnell in einem Zug leer.

“Wiederlich. ¿Por qué Weazel no puede hacer una poción que sepa bien? ¿Como el mango, por ejemplo? Mejorarás mucho más rápido.”

“Langsamer oder Englisch, Medea” murmelt Cassandra als sie noch einmal nach den Wunden sieht. Eine Schusswunde links an der Schulter und die Andere rechts in den Rippen. Eine unangenehme Stille legt sich über sie während die Kräuterhexe der Gorgone noch einmal Runen aus einer Kräuterpaste auf die Brust malt.

“Warum kann Weazel nicht einen Trank machen der gut schmeckt? Nach Mango zum Beispiel? Da wird man viel schneller gesund,” wiederholt die Gorgone in einem stockenden Englisch.

“Müsstest du dich nicht inzwischen an den Geschmack gewöhnt haben?” Die zwei Frauen sehen sich einen Moment lang wortlos an, dann fallen Medeas Mundwinkel langsam.

“Reden wir jetzt darüber? Über alles? Dass du mir nicht gesagt hast, dass das Geschäft schlecht läuft wegen… naja wegen unserem Camp? Und warum du letztens so Stress hattest?”

Die kleinere Magierin seufzt leise, dann setzt sie sich wieder auf die andere Liege. Ihr Blick richtet sich auf ihre Hände.

“Es ist einfach schwierig. Ich mach dir oder den anderen keine Vorwürfe, ihr tut viel Gutes. Ich müsste auch ohne das aufpassen mit wem ich verhandel. … Aber ja, es läuft nicht gut und, ja, es liegt auch an dem Camp. Ich fühl mich als ob ich meinen Job nicht richtig mache… So ohne physischen Laden, oder einen physischen Van der als Laden fungiert. Unser Van ist ja eher ein Wohnbereich. Ich muss da sein wo Leute sind, wo Magier sind und dann kann ich was verdienen. In Cheyenne hat das besser funktioniert als hier in Butte… und mir fehlt mein Refugium in London.”

Medea nickt leicht, “Ja, das hab ich gemerkt. Ist das alles oder… ist es auch… naja… alles andere?”

“Oh, meinst du den Part wo du vor mir zusammengebrochen bist, weil wir nachts überfallen wurden, oder den Part wo ein toxischer Feuergeist momentan auf der Nuklear-Ebene sitzt und wartet bis die Zeit reif ist mit Hilfe einer Alchera einen fucking Super-Vulkan auszulösen? Ja, ja, das macht mir beides auch Stress.”

“Es tut mir leid, Cassie” murmelt Medea. Dann zuckt sie leicht vor Schmerz als sie versucht sich aufzusetzen. “Ich wollte nicht, dass das wieder so ausartet… Und wenn dir das zu viel ist… dann fährst du nach Hause. Das ist okay… Ich bin okay… “ sagt sie in einem leicht traurigen Tonfall als würde sie sich selbst daran erinnern. “Wenn das alles zu viel ist, fliegst du mit dem nächsten Flieger nach London und ich komme nach sobald wir das hier geschafft haben. Wir werden es schaffen. … Wir müssen. Ich halt es dir nicht vor wenn du nach Hause möchtest.”

Tränen bilden sich in ihren Augenwinkeln, dann reicht Cassandra vor um über die fahle Wange ihrer Freundin zu streichen. “Ich geh nirgendwo hin. Hast du verstanden? Natürlich hab ich Angst um dich, ich will dich nicht verlieren… Aber … Du musst deine Grenzen selbst kennen. Das letzte Mal als du so zusammen geklappt bist war in Boston… fühlt sich an als ob das ewig her ist. Bitte pass einfach auf dich auf, kleine Gorgone… Ich brauche dich.”

Andromeda schließt kurz die Augen, dann legt sie ihre Hand auf Cassies. “Ich dich auch… Weißt du noch vor ein paar Wochen? Der Entgiftungszauber? … Das hat mir so viel bedeutet.” Ein kleines Lächeln legt sich auf ihre Lippen. Eine kleine Träne läuft ihr die Wange herunter. “Du hast mir was gegeben was mir hilft. Was mir mit meinen Pflanzen hilft, aber auch mit meiner Arbeit als Runner. Du… Du hast mich unterstützt anstatt mich aufzuhalten, Cassandra. Du weißt nicht wie wertvoll das für mich ist. Wie wertvoll du für mich bist…”

Sanft lächelt Cassie, und Medea kann sogar sehen wie ihre Wangen sich ein wenig rosa färben. “Mach deinen Job, und dann fahren wir nach Hause. … Und bis dahin? Wie wäre es mit einer kleinen Abkühlung im See bevor das Gewitter kommt?”

“Warum hast du das nicht sofort gesagt!?” Aufgeregt lässt sich Medea von der Liege hoch ziehen und schlurft dann langsam aber glücklich mit Cassandra die Treppe herunter um ihre Füße in den See zu halten. Vorsichtig stützt die Taliskrämerin sie und sie genießen ein paar Minuten die Stille und die Aussicht vor sich. Reine Natur. Nayad nimmt einmal tief Luft. Endlich hat sie wieder das Gefühl, dass sie richtig atmen kann.

“Cassie?”

“Mh?”

“Te quiero, Cassie…” flüstert Medea als sie ihre Freundin näher.

“Was bedeutet das?” erwidert sie als sie sich vorsichtig ankuschelt. Einen Moment zögert die Gorgone als sie versucht den Ausdruck zu übersetzen ohne dabei alle spanischen Liebesbekenntnisse zu erklären.

“Es bedeutet sowas wie… Ich will dich in meinem Leben haben…”

“Das ist ein schöner Ausdruck… Ich will dich auch in meinem Leben haben.”

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Naaaaw was für eine schöne Fiction :pleading_face: :blue_heart:

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