Freud und Schmerz - Shadex

06.12.2076 - Arlington Heights -Somerville

Sie hatten es geschafft: Wenn alles gut ging, hatten sie sich ein Ticket raus aus Boston erkauft. Je nachdem für welches Angebot sie stimmen würden. Shadex Favorit war weiterhin das Angebot von Ares, da sie dort zwar weniger verdienen würden, aber immerhin konnten sie damit deutlich mehr Leute hier rausbringen als bei anderen. Geld war ihr in dieser Situation ziemlich egal, sie wollte einfach dieses Gefängnis verlassen. Trotz dem guten Angebot konnten sie natürlich nur begrenzt Leute mitnehmen, das hieß, dass sie wählen mussten, wer zurückblieb und wer ebenfalls ein Ticket aus der NEMAQZ bekommen würde.
Shadex fiel diese Wahl nicht ganz so einfach wie sie vielleicht anfangs dachte. Natürlich würde sie Jeremy mitnehmen, ihn würde sie auf keinen Fall hier zurück lassen, eher würde sie bleiben als ohne ihn zu gehen. Doch da waren noch mehr Leute, die ihr am Herzen lagen. Einerseits waren es die vier Ares Jungs, ebenso wie Finlay und seine Familie und natürlich Kiana. Auch wenn die Kleine nicht wusste, dass sie ihre Mutter war und sie bisher nicht für sie da war, sie konnte sie nicht einfach so hier zurück lassen. Niemand wusste, wie lange die Situation hier andauern würde und ob sie überhaupt jemals hier raus kommen würden.
Sie wusste, dass die Ares Jungs sich schon irgendwie durchschlagen würden und auch Finlay kam mit Sicherheit zurecht, aber trotzdem wollte sie sie eigentlich nicht diesem ungewissen Schicksal hier überlassen. Es war zum Haare raufen.

Das Auto, auf dessen Beifahrersitz sie saß, hielt an. Sie kannte die Gegend und auch das Haus vor dem sie hielten sehr gut. Als sie ausstiegen, entdeckte Shadex ihren väterlichen Freund, der gerade an seinem Sicherheitssystem schraubte. “Er war wohl nie zufrieden”, dachte sie insgeheim. Dann entdeckte auch er seine Gäste und kam auf sie zu.
“Was verschafft mir die Ehre chailleach bheag scáth?” begrüßte er sie wie immer.
“Dürfen wir nicht einfach einen Freund besuchen, brauchen wir dazu einen Anlass?”
“Nein brauchen nicht, aber ich kenne dich zu gut, du kommst nicht zu mir, wenn dir nicht etwas auf dem Herzen liegt, du etwas brauchst oder etwas passiert ist. So wie du mich gerade anschaust sind es wohl sogar alle drei Dinge.”
Ein bitteres Lachen entkam Shadex: “Anscheinend kennst du mich wirklich zu gut. Brauchen tue ich zwar nicht direkt etwas aber ja, der Rest stimmt wohl. Aber lass uns drinnen reden, ich würde das ungern hier draußen besprechen, es könnten die falschen Leute mitbekommen.”
Finlay machte eine einladende Geste und die drei betraten das kleine Häuschen.

Drinnen hörten sie jemanden in der Küche klappern, was wohl Finlay’s Frau sein musste.
“Lass uns in mein Arbeitszimmer gehen, da können wir in Ruhe alles besprechen.”
Kaum hatten sie es sich in dem kleinen Büro gemütlich gemacht, ergriff Finlay auch schon das Wort: “Also schieß los und bitte, erklär mir auch was zur Hölle euch da geritten hat. Ich meine, ich wusste ja schon, dass ihr was plant, nachdem mich diese Latina wegen Panzerung kontaktiert hat, aber das ihr so lebensmüde seid und in den Norden hoch stapft, hatte ich nicht erwartet. Versuch mir bloß nicht weis zu machen, dass ihr nichts damit zu tun habt, ich bin nicht dumm, ich kann 1 und 1 zusammenzählen. Außerdem siehst du ganz schön scheiße aus.”
Beim letzten Punkt musste sie ihn wohl oder übel zustimmen, nachdem sie bei dem Run, ohne ihr Team, fast gestorben wäre, fühlte sie sich noch immer nicht wirklich fit. Die Schmerzen waren zwar mittlerweile erträglicher geworden, aber trotzdem noch da.
“Du weißt das ich dir darüber nicht allzu viel erzählen kann, ist gesünder für dich. Was ich dir sagen kann ist, dass wir keine große Wahl hatten. Das bringt mich eigentlich schon fast wieder zu meinem Anliegen. Wir haben uns wahrscheinlich eine Chance erkauft, hier raus zu kommen.”
“Was meinst du mit raus? Raus aus Boston? Wie zum heiligen St. Patrick habt ihr das geschafft? Ach halt, du wirst es mir ohnehin nicht sagen.”
“Richtig. Ich bin hier weil…”
“Weil du dich verabschieden willst, da du nicht alle hier drin mitnehmen kannst. Ich verstehe.”
“Ja irgendwie trifft es das”, erwiderte Shadex etwas kleinlaut.
“Schon gut, ich bin froh, dass du hier raus kommst, ich komm hier klar. Allerdings….ich weiß das du nicht meine ganze Familie hier raus bekommst, aber ich will das du die Kinder mitnimmst. Kiana und Colin.”
“Das…das…ich kann sie doch nicht einfach von ihren Eltern weg holen, was würden die beiden sagen.”
“Glaub mir, wir haben darüber schon einmal geredet, sie würden die Kinder sofort hier raus schaffen wenn sie die Möglichkeit hätten und durch dich haben sie diese.”
“Nein, das…das.”
Aufgebracht tigerte sie jetzt durch den Raum und versuchte Argumente zu finden die Finlay überzeugen würden. Jeremy der bisher eher beobachtet hatte, erhob sich von seinem Platz, brachte Shadex dazu stehen zu bleiben und zog sie an sich: “Er hat recht, für die Kinder ist es das Beste wenn sie hier raus kommen. Natürlich ist es schrecklich sie von ihren Eltern weg zu holen, aber so haben sie wenigstens die Chance auf eine Zukunft.”
“Seid ihr völlig verrückt? Ich meine ihr wisst, was mein Beruf ist, ich kann es nicht verantworten, Kinder mit hinein zu ziehen, ich hab gesehen, wie eine Familie beinahe an diesem Beruf zerbrochen ist. Es ist schwer genug mit dir an meiner Seite, dich zu schützen und möglichst raus zu halten, dich zurück zu lassen wenn ich auf einen Run gehe usw. Wenn dann die beiden auch noch…ich kann das nicht.”
“Doch kannst du, du bist stark, stärker als du denkst und ich bin ja auch noch da, ich bekomm das schon hin auf die beiden zu achten, selbst wenn du…”, Jeremy musste schlucken: “Selbst wenn du irgendwann nicht wieder kommen solltest, ich würde die beiden niemals im Stich lassen, das verspreche ich dir, außerdem hast du auch noch Amelia.”
“Verdammt, ihr seid verrückt, alle beide. Ich….”, sie raufte sich die Haare und ließ sich wieder in den Sessel fallen.

09.12.2076 Arlington Heights -Somerville

Der Tag des Abschiedes war gekommen. Sie hatten entschieden, dass sie die Kinder ab heute zu sich holen würden, da sie nicht wussten, wann genau es losgehen würde. Vor allem musste dann alles sehr schnell gehen. Für die beiden war es einfach ein Urlaub mit ihrer Tante und ihrem Onkel. Ein Glück, dass die beiden noch so klein waren und noch nicht wirklich begriffen, was hier in Boston vor sich ging. Das schlimmste stand ihnen ja noch bevor.
Die Sachen waren bereits im Auto und nun hieß es ein letztes Mal Abschied nehmen von Finlay. Er stand vor ihr und lächelte sie aufmunternd an. Shadex stiegen bereits Tränen in die Augen, sie hatte das gefühl, dass sie in letzter Zeit zu oft weinte. Früher war ihr so vieles egal gewesen. Im letzten Jahr hatte sich viel für sie geändert, es war alles furchtbar schnell gegangen, dass es ihr erst jetzt so richtig bewusst wurde.
Finlay zog sie in seine Arme: “Ich bin so stolz auf dich Hexe, du hast dich zu einer wundervollen Frau entwickelt. Auch wenn du mich früher gerne weg gestoßen hast, warst du immer wie eine Tochter für mich. Ich wusste, dass dir irgendwann etwas Gutes passieren würde und du auch endlich glücklich wirst.”, bei seinen letzten Worten brach ihm die Stimme etwas und auch er hatte Tränen in den Augen. Verlegen wischte er sich selbige aus den Augen. Er sah zu Jeremy hinüber und versuchte dann zu scherzen: “Lass diesen Kerl ja nicht wieder gehen, der tut dir wirklich gut.”
Shadex drehte sich ebenfalls in die Richtung und musste etwas lächeln: “Hatte ich eigentlich nicht vor……Papa.” Als sie das gesagt hatte, mussten beide nun endgültig weinen und lagen sich mehrere Minuten in den Armen. Als sie sich voneinander lösten, hatten beide rot verquollene Augen, aber das war unwichtig. Ja, Finlay war wirklich ihr Vater geworden, er hatte ihr vieles beigebracht und sie unter seine Fittiche genommen, als er geschäftlich in Seattle gelebt hatte. Damals hatte sie das alles noch nicht so sehr zu schätzen gewusst, aber er war wohl mit ein Grund, warum sie heute noch hier war. Er war ihr erster Lehrer. Ihn jetzt hier zu lassen, schmerzte sie wirklich sehr, aber es war nun mal seine eigene Entscheidung gewesen und dies würde sie respektieren.

13.12.2076 James-Buffet-Erlebnis-Highway-Motel

Draußen! Endlich wieder frei! Sie konnte es kaum glauben, sie waren wirklich aus Boston raus und frei. Die komplette Freakshow, wie Nayad es so schön beschrieb, hatte es raus geschafft. Kein Teammitglied musste zurückbleiben.
Shadex kramte ihr Kommlink aus ihrer Tasche, jetzt da es wieder Verbindung hatte, kamen auch die Nachrichten von ihrer Schwester durch, die anfangs versucht hatte, sie zu erreichen. Sofort stellte sie eine Verbindung zu ihr her, welche fast sofort angenommen wurde.
“Aurelia? Bist, bist du es wirklich?” kam es von der anderen Seite.
Shadex musste ein klein wenig lächeln: “Ja ich bin es wirklich, wir haben es raus geschafft.”
“Ich bin so froh deine Stimme zu hören und dass es dir gut geht. Sind die anderen auch bei dir? Wie habt ihr das Kunststück geschafft?”
“Ja, Jeremy und die Jungs sind auch hier, ebenso wie die Runner. Es gibt da allerdings noch etwas das ich dir erzählen muss, naja eigentlich muss ich dir wohl sehr viel erzählen.”
Denix lachte auf: “Ja, da gibt es wohl so einiges.”
“Na klar, sobald ich Zuhause bin, allerdings gibt es eine Sache, die ich dir wohl jetzt schon erzählen muss, damit ich dich nicht zu sehr überrumple.”
“Das du mit Jeremy zusammen bist? Schwesterherz? Das musst du mir nicht erzählen, ich weiß das schon, seit ich euch auf Kuba getroffen habe.”
Nun musste auch Shadex lachen: “Nein, nicht das, oder ja das auch aber etwas anderes. Finlay, ich hab dir doch von ihm erzählt. Er wollte leider nicht mit raus, naja dafür musste ich ihm allerdings versprechen, dass ich seine beiden Enkelkinder, Kiana und Colin, mit raus nehme.”
“Oh, das heißt wir haben jetzt Nachwuchs im Haus, oder wie kann ich das verstehen?”
“Ja, das trifft es wohl, aber da gibt es noch etwas. Kiana, sie naja…sie…sie ist meine Tochter.”
Am anderen Ende der Leitung herrschte erstmal für eine kurze Zeit stille, dann hörte man ein kurzes Rumpeln: “Sorry, mir ist gerade eine Kiste aus der Hand gefallen. Sie ist…du hast…Du hast eine Tochter? Warum zur Hölle hast du mir nie davon erzählt?”
“Lange Geschichte, ich erzähl dir das alles, wenn wir Zuhause sind, ich wollte es dir nur sagen, bevor wir da sind.”
“Puh, das muss ich erstmal richtig verarbeiten. Wann kommt ihr heim?”
“Sobald wie möglich, wir verabschieden uns noch von den anderen und organisieren uns einen Flug, wäre schön, wenn ihr uns dann abholen kommt.”

25.12.2076 Bellevue - Seattle

Das ganze Haus war weihnachtlich geschmückt. Ursprünglich wollten sie gar nicht feiern, allerdings hatte sich das durch die guten Nachrichten und auch die Kinder geändert. Die beiden liebten die Weihnachtsdeko und alles drum herum. Sie hatten sich auch schon sehr an all die Leute in dem Haus gewöhnt. Die Ares Jungs waren nicht nur hervorragende Bodyguards, sie waren anscheinend auch wirklich gute Babysitter. Die Kinder spielten sehr oft und gerne mit ihnen. Da sie sonst so gut wie keine Familie hatten, würden sie vorerst auch erstmal hier bleiben. Ja, sie waren schon eine schräge WG, aber gerade deshalb fühlte sich Shadex hier auch so wohl.

Es war relativ früh am Morgen und sie lag noch im Bett und kuschelte sich an den Körper des Mannes neben sich. In seiner Nähe fühlte sie sich einfach wohl. Plötzlich polterte es und die Türe wurde mit einem lauten Krachen aufgeschlagen, die beiden Kinder kamen kreischend zu ihnen ins Bett gesprungen.
“Tante, Tante, Tante, der Weihnachtsmann war da, steh auf wir wollen sehen, was er uns gebracht hat. Onkel, du musst auch mitkommen.”
Jeremy brummte etwas Unverständliches neben ihr, dann schnappte er sich die kleine Kiana und fing an, sie furchtbar zu kitzeln. Die Kleine lachte laut und fröhlich. Shadex saß daneben und lachte mit. Der kleine Colin hatte sich an sie geschmiegt, wie er es oft machte und irgendwie fühlte es sich richtig an, wie sie hier herumalberten. Die Flucht aus Boston hatten die beiden Kinder offenbar sehr gut überstanden, worüber sie wirklich froh war.
“Kommt lasst uns nach unten gehen, Tante Amelia und Onkel Jaime warten bestimmt schon”,

Unten waren tatsächlich schon alle versammelt und wollten gerade frühstücken. Die Kinder interessierte das allerdings recht wenig, die wollten erstmal ihre Geschenke haben und laut quietschend liefen sie ins Wohnzimmer zu dem großen Baum. Ihre Augen leuchteten als sie anfingen ihre Geschenke aufzureißen. Lächelnd und glücklich verfolgten die drei Pärchen, Arm in Arm mit ihren Partnern, das Treiben der Kinder. Ja, sie waren schräg, aber das hier war die beste Familie, die man sich vorstellen konnte.

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Ich sehe schon wir haben viele schöne Abschlussfictions hier :heart_eyes:
Bin gespannt wie du das mit den Kindern weiter machst :grin:

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Dankeschön :kissing_heart:
Ja…das weiß ich auch noch nicht so genau :joy: Aber das wird schon irgendwie werden

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Nawww :green_heart: sehr schön geschrieben Demi!
Glaube wir sind alle traumatisiert, dass wir nur noch nette Endfictions schreiben!

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Danke Kate :kissing_heart:
Ja das kann sein, aber naja irgendwann kommt da bestimmt auch wieder Drama :joy:

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