Ein weiter Weg - Sail und Spectre

Ein Hotel irgendwo zwischen Seattle und Denver

Stille!

Einfach nur Stille, danach hat sich Zoe so sehr gesehnt. Einige Wochen sind seit Boston vergangen und nun hat sie die ersten fünf Minuten Ruhe, Zeit für sich allein.

Sie war mit Miles wahrscheinlich auf dem ganzen Kontinent unterwegs, hat gefühlt, wie gerne er jedem von seinen Abenteuern erzählt hätte. Doch sie hatten sich und auch der wilden Mischung an Runnern, mit denen er abhing, versprochen, kein Wort in der Öffentlichkeit darüber zu verlieren.

Niemand kann ahnen, was das für Auswirkungen hätte. Nicht nur von Runner Seite, sondern auch von den beteiligten Konzernen. Zoe ist froh, dass er sich darauf eingelassen hat, sie will ihn nicht verlieren. Die Auswirkungen für sie beiden wären wahrscheinlich schon groß, kaum auszudenken, was es für die anderen bedeuten würde.

Plötzlich hört die Elfe Schritte auf dem Flur und das Magschloss piepte. Zoe zuckt zusammen und greift reflexartig an ihr Holster, das sie sonst immer trägt.

Die Tür fliegt auf, in das dunkle Zimmer fällt ein Lichtschein aus dem davor liegenden Flur. Bis an die Wand streckt sich der Schatten, des großen Mannes.

“Will ich wissen, warum du auf dem Boden liegst?”

Spectre schaut auf seine Freundin hinab. Sie liegt mit einer Handtuchrolle im Nacken auf dem Teppich neben dem Bett. Das Licht ist ausgeschaltet und die Vorhänge sind zugezogen. Im Hintergrund läuft leise ein Lied von Gorilla Red.

Zoe beobachtet, wie Miles den Raum durchquert und die Brötchen sowie die Becher mit Kaffee auf den kleinen Tisch stellt.

“Möchtest du dich zu mir setzen oder …”, sagt er und dreht sich in Zoes Richtung.

“Komm doch zu mir, der Boden ist weitaus bequemer als diese kleinen Stühle”, sagt Zoe mit einem schelmischen Unterton.

Nachdem sich die beiden ihr Frühstück genehmigt haben, beschließen sie einen Spaziergang zu unternehmen. Zoe hat keine Ahnung, in welcher Stadt sie sind. Eigentlich sind sie auf dem Weg nach Denver, mit einem Flugzeug wären sie schon längst da, doch Miles hatte beschlossen, die Strecke mit dem Camper zu fahren. Der Camper seines besten Freundes, er hatte ihm dafür sein gelbes Muscle Car als Pfand gelassen, alle Sache gepackt, die er noch in Seattle hatte und dann ging es los.

Während sie die Straße hinunter laufen kommen sie an einem Flohmarkt vorbei. Auf einmal schreit Zoe in einer Stimmlage, die Spectre noch nicht gehört hat. So etwas wollte sie schon immer haben, als Kind war klettern ihre große Leidenschaft, sie hatte nur um eine minimale Entscheidung die Weltmeisterschaft im FreeClimbing verpasst.

Vor ihr stand eine mobile Kletterwand, eigentlich ist sie für Kinder gedacht, aber mit ein bisschen Hilfe könnten sie und Miles sie umrüsten. Ein schnellerer Motor und weniger Griffe, das wäre perfekt, dachte die Elfe. Sie liebte es. Bewegung tat ihr gut. Immer wieder kamen Bilder aus Boston in ihr Gedächtnis. Sie hatte alles zurückgelassen, schon wieder. Aber Zoe war froh raus zu sein aus diesem Drecksloch. Die Sicherheit, dass man die anderen Bewohner der Stadt elendig sterben würde, kam ihr immer wieder in den Kopf.

Spectre der seine aufgeregt hüpfende Freundin neben sich nicht enttäuschen wollte, setzte sich in Bewegung, um mit dem Verkäufer dieses komischen Dings zu sprechen…

Mehre Minuten später liefen Zoe und Spectre mit der mobilen Kletterwand die Straße hinauf, in Richtung Parkplatz.

Glücklicherweise hatte der Verkäufer für einen kleinen extra Betrag ihnen das Transportgestell mit verkauft. Spectre schnaufte ab und zu, wie als würde es ihm besonders schwerfallen.

Zoe lief glücklich grinsend neben ihm her.

“Hast du dir eigentlich überlegt, wie wir das da transportieren wollen?”, fragte der Mensch.

“Ich habe doch einen starken Mann, der hilft mir sicher”, schmachtete sie ihn freudestrahlend an.

2 Tage später

Spectre hatte es tatsächlich geschafft, die Kletterwand halbwegs stabil am Camper zu montieren, nun sind sie unterwegs nach Denver. Zu ihrer Familie, ihrem Leben vor Boston.

Sie würde mit ihm reden müssen, bevor sie ankamen. Spectre kennt nur Zoe, Zoe Thompson, die Taxifahrerin aus Boston. Eine FakeSin, um in Boston ungestört ihr Ding machen zu können und sich nicht verfolgbar zu machen.

Sie wollte einfach wieder verschwinden können, ohne dass jemand lästige Fragen stellen konnte. Es war die idiotische Idee ihres Vaters gewesen, von zu Hause wegzugehen. Etwas anderes zusehen, mal auf das Leben zu treffen. Und nicht die behütete Version, die sie kannte. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, ja dann wollte sie nach dem Jahr “Auszeit” die Firma übernehmen als Junior Partnerin.

Ihr Vater führte eine kleine Sicherheitsfirma in Denver, nichts was groß Schlagzeilen machen würde. Gebäudeschutz, Demonstrationssicherung, die ein oder andere Personensicherung. Sie erinnerte sich noch an den ersten Einsatz, auf den ihr Vater sie mitgenommen hatte. Aus heutiger Sicht betrachtet unfassbar langweilig. Die beiden saßen in einem kleinen Raum an einem Schreibtisch und beobachteten Monitore. Als Jugendliche empfand sie es als spannende Ablenkung vom Schulalltag.

Seit sie stehen konnte, hatte ihr Vater ihre Talente gefördert, aber auch gefordert. Er war unfassbar stolz auf seine Firma und seine Tochter, für die er sich ausgemalt hatte, dass sie die Firma übernahm.

Eine Nachricht wird über das System des Campers abgespielt, sodass auch Spectre sie hören konnte.

“Amelia! Amelia, ich weiß, dass du diese Nachricht bekommst. Du musst sofort nach Hause kommen. Das ist keine bitte, es geht um deinen Vater. Ich brauch deine Hilfe! Schatz, es war so eine dämliche Idee, dich wegzuschicken. Melde dich!”

Die tränenerstickte Stimme erlischt und es herrscht ein Stille im Camper, die es zwischen Amelia und Miles noch nie gegeben hatte.

Der Mensch steuert den Wagen auf den Seitenstreifen und stellt den Motor ab. Er mustert ihr Gesicht, sagt nichts, sondern legte seine Hand an ihre Wange.

Amelia rollte eine Träne über das Gesicht.

“Rede mit mir Schatz, ich weiß das unsere Blase platzen muss!“ flüstert Spectre.

Leise fängt sie an zu erzählen:

“Du kannst dir sicherlich denken, dass Zoe nicht mein richtiger Name ist. Ich heiße Amelia, mit Denver habe ich nicht gelogen, ich bin dort geboren und aufgewachsen.

Mein Vater leitet eine kleine Sicherheitsfirma, meine Mutter ist Lehrerin. Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Was meine Eltern zu dem Entschluss brachte, mich für 1 Jahr weg von zu Hause zu schicken. Als wir uns kennengelernt haben, war dieses Jahr kurz vor seinem Ende. Und ich wollte einfach nur wieder zurück. Ich liebe meine Familie und die Firma genau wie mein Dad. Ein einfaches Leben, nichts Außergewöhnliches, aber trotzdem eine Spur aufregend. Wir haben keine großen Sachen gemacht. Nichts für die Top 10, Top 9 ach keine Ahnung.

Personen und Gebäudeschutz. Ich hatte auch ein oder zwei Einsätze bei Demonstrationen. Mein Vater hat mich trainiert, ich habe eine besondere Bindung. Bis ich wegging. Ich habe nicht mit ihnen gesprochen. Über nichts aus Boston, wie auch? Wir sollten uns dringend eine Geschichte ausdenken, die wir ihnen auftischen. Vielleicht waren wir auf einem Roadtrip und haben gar nicht mitbekommen, was in Boston passiert ist.

Mein Gehirn überschlägt sich gerade, ich weiß nicht, was ich dir erzählen soll! Wo ich anfangen und aufhören soll?”

Spectre hat Amelia angestarrt, ihr zugehört, versucht ihr Kraft zu geben. Ja, er hat sich schon gedacht, dass Zoe eine FakeSin ist. Warum auch nicht, würde er ja auch jedem raten. Erschlagen von den neuen Informationen, streicht er über ihre Wange und sagte heiser: “Es ist alles gut, wir fahren jetzt so schnell es geht nach Denver. Auf der Fahrt kannst du mir ja noch etwas erzählen, wenn du willst.”

1 Woche später

Amelia steht als letzte der Trauergäste vor dem Grab ihres Vaters. Passend zu dem Ereignis, schüttet es seit den frühen Morgenstunden aus Kübeln. Ihr schwarzes Kleid klebt an ihren Oberschenkeln. Sie hatte Spectre und den Regenschirm weggeschickt.

Es war alles so schnell gegangen, sie waren angekommen und ihre Mutter eröffnete ihr, dass sie ihren Vater ins örtliche Krankenhaus gebracht hatten.

Krebs!

Dieser Scheiß Kerl. Er wusste es seit 2 Jahren und hatte nicht den Mumm ihrer Mutter oder ihr etwas davon zu erzählen. Er hatte sie noch weggeschickt. Amelia war so unfassbar sauer und traurig und wollte alles aus ihrem inneren Schreien. Frustriert und wie ein kleines Kind trat sie gegen den Grabstein, den sie ausgesucht hatte.

“Arsch” flüstert sie leise. Dreht sich um und ging in Richtung des Autos.

In der Firma angekommen, steht sie vor den Trümmern ihres so sicher geglaubten Lebens.

Alle Mitarbeiter hatte ihr Vater sukzessive entlassen müssen. Und das Geld war trotzdem immer knapper geworden, bis ihm nichts anderes übrig blieb, als Kredite aufzunehmen. Zu ihrem Glück bei Leuten, die ihr nicht so gefährlich werden konnten wie andere. Die Summe hatte sie im ersten Moment erschlagen.

Sie war ohne Spectre schon einmal hier gewesen, um den Rechner zu begutachten. Dabei waren ihr die Buchhaltungsdaten ins Auge gefallen.

Keine Chance das ihre Mutter oder sie das zahlen können. Selbst wenn Amelia voll ins Geschäft einsteigen würde, wie sollte sie es ohne Angestellte schaffen. Sie kann ja schließlich nur an einem Ort gleichzeitig sein.

Härtere Jobs schließt sie eigentlich aus. Den Umgang mit Waffen beherrscht die Elfe, aber einen Einsatz scheut sie, solange es keinen für sie sinnvollen Grund gibt.

Schutz vor einer Eskalation zum Beispiel. Ja, sie hatte in der Vergangenheit bereits Granaten benutzt, keine tödlichen, aber um auf einer Demonstration eine Schlägerei und eine anschließende Panik zu verhindern, rechtfertigte für sie den Einsatz von Tränengas.

Die Tränen rollen ihr erneut über die Wangen, weinen macht sie so schwach, aber es ging einfach nicht anders.

Spectre zeigt auf einen Namen, der in der Liste der Schuldner steht.

“Onkel Ben, stieß Amelia aus.

“Kennst du ihn?” fragt er. “Lustiger Kerl, habe ihn mal auf einer Hochzeit getroffen”

“Also nicht mein richtiger Onkel, ein Freund meines Vaters, sie haben zusammen gepokert und er hat meinen Dad so richtig abgezogen!”

Jetzt huscht Amelia ein Lächeln über die Lippen.

“Da hätte ich schonmal die erste Person, die ich anrufen kann, vielleicht lässt er sich auf einen Deal ein. Ratenzahlung oder ich arbeite für ihn keine Ahnung. Ich weiß echt nicht wo ich sonst anfangen soll!” sagte Amelia resigniert.

Die Elfe griff nach ihrem Komlink und tippte vorsichtig die Nummer von Ben Kendall ein.

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Schöne Fiction :blush: :blue_heart:

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Sehr coole Einführung zu Sail :blush: bin gespannt wie du mit ihr Arbeitest die Season :yellow_heart:

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Oh ja, Schulden bei Ben führen sicher nicht dazu, dass sie irgendwo hin muss, wo sie ihre Pistole und Granaten braucht :upside_down_face:
Freut mich, Sail kennenzulernen! :slight_smile:

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