Sonntag 29.5.2077
Im Cabbage Patch District steht die Luft. Die Sonne strahlt unerbittlich vom Himmel und Violet hat das Gefühl, dass die sowieso schlechte Luft noch schlimmer geworden ist. Ein Glück konnte sie mit der Hilfe von Doyle sich ein Toxinspülsystem zulegen. Das macht die Situation etwas erträglicher.
Violet hat eben noch den letzten Patienten behandelt und wollte gerade die Hintertür vom Van schließen als sie mitten in der Bewegung stehen bleibt. Denn vor dem Van steht eine blondhaarige Frau mit ähnlichen Gesichtszügen wie sie selbst. Ihre Schwester Jennie schaut sie fassungslos an.
Das letzte mal als sie sich gesehen haben war zum Essen bei ihren Vater. Danach hatte sie nur noch mit ihr telefoniert. Sie wusste nicht mal, dass sie aktuell in der Stadt war.
Jennie ergreift als erstes das Wort: „Ich kann nicht fassen was ich hier sehe!“ Wut klingt in ihrer Stimme mit.
„Ich kann das erklären.“ sagt Violet verzweifelt. „Aber was machst du hier? Seit wann bist du wieder in Butte?“
„Seit Vorgestern. Ich war Dad besuchen und wollte eigentlich nach dir sehen. So als Überraschung. Aber in dem Hotel wo du angeblich zur Zeit eingecheckt bist, kennen die keine Isabelle Blackburn.
Und da hab ich vorhin zufällig gesehen, wie du mit dem Van unterwegs bist und bin dir hinterher. Nur um dann zu sehen, dass du hier illegal als Ärztin arbeitest! Wie konntest du mich so anlügen?“ Jennie funkelt sie wütend an.
Violet weiß, dass leugnen oder abstreiten nichts bringt und seufzt betrübt:
„Ich… kann ich das bitte im Van erklären und nicht hier auf offener Straße?“
Jennie schaut verächtlich auf den Van und Violet sieht ihr im Gesicht an, dass sie am liebsten verneinen will. Aber nach ein paar Sekunden kommt ein widerwilliges Nicken von ihrer Schwester und sie begeben sich in den Van.
Den Innenraum hat Violet schon desinfiziert und wieder wohntauglich gemacht. Das Bett, was sonst als Liege dient, ist wieder mit ihrer Bettwäsche bezogen und die medizinischen Geräte sind sorgfältig in den Schränken verstaut.
Jennie schaut sich kurz um bis sie auf das Bett setzt und Violet abwartend anschaut: „Also, ich höre.“
„Okay… ja ich arbeite hier illegal als Ärztin.“ beginnt Violet wahrheitsgemäß zu erzählen.
„Und der Bürojob, von dem du immer erzählst hast?“
„Den hat es nie gegeben.“ gibt Violet zu.
„Und wie lange läuft das hier schon?“ Jennie schaut verächtlich durch den Van.
Violet zögert kurz: „Das läuft seitdem ich mit dem Medizinstudium angefangen habe…“
„Seit dem Studium?!“ erwidert ihre Schwester aufgebracht.
„Es war damals der einzige Weg um genügend Geld für das Studium zu bekommen! Mama hat mit ihrem Job als Kellnerin nicht genügend verdient und die ganzen Nebenjobs die ich versucht habe wurden super schlecht bezahlt. Und als Streetdoc hab ich genügend Geld verdient und hab gleich Praxiserfahrung gesammelt. Nach dem Studium hab ich es aber dann der Metas wegen getan und nicht wegen des Geldes. Und als ich meinen Job bei DocWagon verloren habe wurde es dann meine Haupteinnahmequelle.“ erklärt Violet.
„Du hättest dir auch einen ordentlichen Job holen können, anstatt das hier zu machen.“ schnaubt sie.
„Dann wäre ich meines Lebens nicht mehr froh gewesen. Ich liebe meinen Job. Ich wollte nichts anderes mehr machen. Hier kann ich wenigstens Anderen helfen.“
„Das konntest du mit deinem alten Job auch, aber den hast du dir ja selbst versaut.“ sagt Jennie.
Dass ihr Vater ihr das vorwirft ist sie ja schon gewohnt, aber das von ihrer Schwester zu hören verletzt sie mehr als sie dachte.
„Ich weiß.“ sagt Violet mit brüchiger Stimme. „Ich hatte das damals nicht gewollt, aber die zwei Jobs gleichzeitig… das war unglaublicher Stress. Ich war eigentlich nur am arbeiten und durch das Longhaul hab ich hinbekommen einerseits bei DocWagon zu arbeiten und die restliche Zeit als Streetdoc. Ich hab nicht gemerkt wie kaputt ich mich dadurch gemacht habe.“ Man sieht deutlich wie sehr Violet das Ganze immer noch mitnimmt, wenn sie sich an die Zeit damals erinnert.
Als Jennie ihren Blick bemerkt verraucht etwas ihre Wut.
„Und warum hast du nie etwas gesagt?“ fragt Jennie. An ihrer Stimme merkt Violet, dass hier der eigentliche Grund für ihre Wut liegt.
“Weil ich dich damit schützen wollte. Ich habe genug mit Metas aus den Schatten zu tun. Es passiert schnell, dass du dir mit Pech jemanden zum Feind machst. Und da ist es besser, wenn niemand weiß dass du existiert. Ich könnte mir das nicht verzeihen, wenn du in was hineingezogen wirst, wofür du nichts kannst.” versucht Violet zu erklären.
“Du müsstest mich aber nicht schützen, wenn du nicht in den Schatten wärst! Das ist mir gerade alles zu viel… ich brauche Zeit darüber nachzudenken.”
Mit schnellen Schritten verlässt Jen den Van und knallt die Tür hinter sich zu.
Das verzweifelte “Jen!” von Violet hört sie nicht mehr. Als sie die Tür aufmacht sieht sie nur noch wie ihre Schwester mit einem schwarzen Auto davon fährt.
Traurig schließt sie die Tür hinter sich und lässt sich auf das in der Wand eingelassene Bett fallen, wo eben ihre Schwester noch saß und lässt einen frustrierten Schrei heraus. Erst das schlechte Gespräch mit ihrem Vater und jetzt die Begegnung mit Jennie. Außer den beiden kennt sie keinen mehr aus der Familie. Selbst wenn sie kein Kontakt mehr mit ihren Vater hätte, käme sie damit klar. Aber es würde ihr das Herz brechen, wenn ihre Schwester nicht mehr mit ihr sprechen würde.
Die beiden hatten sich immer verstanden bis auf kleine Streitigkeiten.
Violet möchte ihre Schwester nicht verlieren. Aber was ist, wenn sie nur noch mit ihr zu tun haben will, wenn sie aus den Schatten raus geht? Sie will ihre Aktivitäten als Streetdoc nicht einfach aufgeben. Außerdem weiß sie gar nicht ob sie so einfach aus den Schatten raus kommt, so lange wie sie schon drin steckt.
Frustriert boxt sie in ihr Kissen. Erstmal muss sie überhaupt wieder mit ihr sprechen. Mit kreisenden Gedanken macht sie sich wieder zurück zum Camp.