20:25 - Das Buffet - Holliday
[Ich empfehle, bei Song 5 einzusteigen.]
Tower läuft vorsichtig zum frisch eröffneten Buffet und nimmt sich einen Shrimp Cocktail. Die Meerluft hatte ihm irgendwie Lust auf Meeresfrüchte gemacht. Er stellt das wacklige, zum Bersten gefüllte Glas vorsichtig auf seinen Keller, als er ruckartig ein Zuppeln an seinem Anzug spürt. Eine schlanke Hand mit neonfarbenem Tattoo zerrt von unter dem Tisch an seiner Hose. Er seufzt, verdreht die Augen, und klettert zu Holliday unter die Tischdecke.
Unten trifft er auf den Elf, Weazel und Jazz, die im Kreis im Sand sitzen, und ihn erwartungsvoll mustern.
“Hi Tower!”, sagt Weazel glücklich. “Hilfst du uns, den Bräutigam zu bestehlen?”
Der Ork setzt sich langsam hin und zieht den Kopf ein. “Es musste ja so etwas sein, oder Holliday?”
“So hab’ ich auch reagiert. Ist aber Vacas Familientradition, also schon okay denke ich. Macht Mina da echt mit?”
Holliday lacht. “Mina ist eine Wahnsinnige, wenn es um so etwas geht. Super viel Ehrgeiz. Normalerweise machen wir das zusammen, aber sie hat vorhin irgendwie beschlossen, dass wir dieses Mal gegeneinander arbeiten. Und da ich Runner bin und Diebstahl irgendwie mein Business ist, wird sie mich dringend ausstechen wollen.”
“Na gut. Was stehlen wir?”
“Doyles Schlips! Guck nicht so, es ist Teil der Tradition, das Brautpaar vorzuwarnen. Macht es spannender.”
Weazel lächelt diabolisch. “Und er hat auch schon einen Plan. Einen guten!”
“Si. Habe ich ihm auch nicht geglaubt.”
“Also. Mina und ich haben so getan, als wären Fotos und Videos voll unser Ding, als Familientradition. Sie macht ja irgendwas mit Drohnen, ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass wir eine Fotobox aufgestellt haben, das zentrale Element in meinem Plan. Tower, dein Job ist es, Doyle und Fifi zur Fotobox zu locken. Ganz leicht, sie vertrauen dir! Nutze das!” Holliday kichert diabolisch. “Dann wirst du sie durch das Speisezelt führen, und dabei alle Versuche von Minas Team abblocken, sie abzufangen. Sie vorsichtig, ich weiß nicht, wer ihr hilft, aber sie ist ein verschlagenes dreckiges Wiesel! … Oh, sorry, Lou. Du bist süß!
Sobald du die beiden zur Fotobox gebracht hast, übernimmt Jazz. Jazz, kannst du sympathisch und aufgedreht sein?” Sie schaut ihn mit einem tödlichen Blick an. “Naja, gib einfach dein Bestes. Ich brauche dich und Weazel, damit die Fotobox aussieht, als wäre das das Witzigste und Coolste was ihr je gemacht habt, und als hättet ihr so viel Spaß wie noch nie in eurem Leben.” - “Ich glaube, ich werde wirklich Spaß in der Fotobox haben!” - “Das ist genau die Einstellung, die du spielen musst, Weazel! Gut so! Also, ihr zeigt, wie toll all die Dinge sind, die wir da haben: Federboas, dumme Brillen, Strandtücher, ein Piratenhut… Ich hab die Tibidabo geplündert.
Sobald die beiden so richtig Lust drauf haben, ist es Weazels Aufgabe, Fifi abzulenken. Die ist erwacht, und darf nichts vom nächsten Teil des Plans wittern. Nimm eins von deinen Halstüchern oder so, das sollte sie beim Askennen stören. Sie soll denken, es geht um sie. Denn Jazz wird in der Zwischenzeit Medusa nutzen, um Doyle zu manipulieren! Leg sie ihm um, und sag ihr sie soll ihn den Schlips ausziehen lassen für die Fotos. Dann kann Lou der kleine Racker sich in die Fotobox schleichen, und den Schlips stehlen! Total leicht!
Abschließend tut Tower das, was er am besten kann, und wird als Personenschützer für das Wiesel eingesetzt, das mir den Schlips in mein Geheimversteck bringt.”
“Er meint hier unter dem Tisch, oder?”
Jazz seufzt. “Ja… er hat Angst vor seiner Schwester.”
“Habe ich nicht! Das ist ein taktisches Element! Sie soll Angst haben, und nicht wissen in welchem Schatten ich lauere!”
“Hast du dich vorhin zu viel mit Pierce unterhalten?”
In diesem Moment wird die Tischdecke angehoben, und Nayad schaut drunter. “Hey! Habt ihr Spaß? Ich hab sie gefunden, Mina!”
“Drek.”
Die Tischdecke wird weiter angehoben, und neben Nayads ausladendem Afro schiebt sich der strohblonde Lockenschopf von Hollidays jüngerer Schwester ins Sichtfeld. “Na, was treibt ihr Schönes?”
“Ääääh… Lou hat sich verlaufen, und die anderen mussten mir helfen, ihn zu finden!”
Die vier Tischdeckenverschwörer grinsen Mina schief an.
Sie zieht eine Augenbraue hoch. “Ach. Dann war das Ganze deswegen so leicht?” Sie streckt eine Hand aus, und im Hintergrund nähert sich Leyla, die ihr die Krawatte überreicht. Mina hält sie triumphierend hoch. “Arschlecken, Bruderherz!”
Jazz schaut sie ungläubig ab. “Wie habt ihr das gemacht?!”
Nayad strahlt. “War ganz leicht! Nachdem sie den ersten Gang gegessen hatten, bin ich zum Brautpaar, und habe gefragt, ob sie Lust haben noch ein paar Fotos zu schießen. Die Lichtstimmung am Strand war gerade super.”
Mina übernimmt: “Wunderschöne Sonnenuntergangsaufnahmen von den beiden. Haben meine Drohnen toll inszeniert. Natürlich kann ein Strandhochzeits-Shooting nicht vollständig im Anzug absolviert werden.”
“Und dann habe ich mich eingeschaltet, und die Teile ihrer Garderobe die sie ablegen wollten ‘sicher verwahrt’,” beendet Leyla triumphierend die Erzählung.
Holliday starrt die drei Frauen einen Moment lang einfach nur an. “Das war doch viel zu leicht, Minnie! Sonst bist du doch immer die mit den verstrickten Plänen, die drei Schleifen und unnötige Komplikationen enthalten!”
Sie rümpft die Nase. “Du sollst mich so nicht nennen! Außerdem wollte ich dir zeigen, dass es nicht immer der komplizierte Schwerverbrecher-Weg sein muss. Vielleicht bist du doch nicht so gut in deinem aktuellen Job, wie du denkst.”
Es wird eisig unter dem Buffet-Tisch, und einen Moment lang ist es still. Irgendwo hört man jemanden “Hey, wer hat die veganen Frühlingsrollen aufgegessen?!” rufen, woraufhin die von hier sichtbare untere Hälfte einer nahestehenden Person unsichtbar wird und sich schmatzend entfernt.
Jazz klatscht die Hände auf die Schenkel. “Jaaaaa… ich geh dann Mal. Jemand Lust auf Fotokabine?” Weazel nickt eifrig und beeilt sich aufzustehen, Tower legt Holliday nochmal die Hand auf die Schulter und verlässt Hollidays Geheimversteck ebenfalls.
Mina kriecht zu Holliday unter den Tisch, und setzt sich neben ihren Bruder, der irgendwann das Wort ergreift. “Ist wie früher, oder? Als wir neu in Seattle waren, und uns immer unter dem Tisch versteckt haben, als wir einsam waren?”
Sie lächelt. “Das war schön. Damals haben wir uns immer gut verstanden.”
“Wir hatten ja auch keine Wahl. Mom und Dad waren meistens weg, beim neuen Job. Die hatten ja gar keine Chance, sich einzumischen und unsere Leben so zu planen, dass wir uns hassen müssen.”
“Glaubst du wirklich, das ist ihre Schuld?” Sie lehnt den Kopf an seinen Arm.
“Mich haben sie so schnell es ging zu immer mehr Perfektion angetrieben, weil ich besser sein musste als du. Ich ‘hatte ja einen Vorsprung’ und so. Und dich haben sie vertrieben, weil sie dein Leben für dich planen wollten. Und wo sind wir jetzt? In der Karibik, wo du Fotos für Hotels machst und ich Blutrituale zum Überleben brauche.”
Sie schweigen einen Moment. Draußen hört man wie Ben irgendetwas über ein Kasino in Barrio Chino in sein Komlink lallt und eine weitere vegane Frühlingsrolle isst.
Dann atmet Mina langsam ein, und sagt: “Du solltest den Job annehmen, weißt du? Das mit dem Forschungslabor in Boston.”
“Mina… das ist nicht so leicht. Ich bin raus aus der ganzen Sache. Aus dem Kon-Leben. Und du hattest doch gerade auch Spaß dabei, die Krawatte zu stehlen. So fühle ich mich auf meinen Runs immer. Der Nervenkitzel, das Gefühl gegen jemanden anzutreten und mit allen Tricks spielen zu können. Das ist jetzt mein Leben.”
“Aber… kann es nicht ein Zwischending sein? Ich habe doch auch einen Job gefunden, der mir Spaß macht. Ich hab vorhin mit diesem Ben gesprochen, über Boston. Er sagte, dass das unter dem Radar wäre. Ein bisschen wie bei einem Kon, aber nicht ganz! Und dass es immernoch aufregend für dich wäre, und du Leute einfangen kannst, die so sind wie du bis letzte Woche! Ist das nicht ein Kompromiss? Ich mag den Gedanken nicht, dass mein Bruder da draußen ist, und sich in Gefahr bringt, weil er der Mafia, den Piraten, den Kons und dem Staat auf der Nase rumtanzt. In Boston hättest du wenigstens ein bisschen Rückendeckung!”
Holliday seufzt. “Die hab ich doch auch hier! Diese Leute da draußen, die sind meine Rückendeckung! Weißt du, wie viel Jazz für mich tut? Und wie oft sie alle da draußen für mich da waren? Sie sind für mich wie…”
“… wie Familie.” Mina klettert unter dem Tisch hervor, und lässt Holliday alleine im Sand sitzen.