10.05.2077
An der Einfahrt vor einem rustikalen Haus wartet Isabelle auf ihre Schwester. Sie schaut nervös auf die Straße und fummelt an ihren blauen Kleid herum.
Eigentlich wollte sie nicht hier vor dem Haus ihres Vaters sein, aber Jennie reist extra hier an und Isabelle wollte sie nicht nochmal versetzen.
Ihre Schwester bekam ziemlich schlecht Laune, als Isabelle vergaß an dem Wochenende nach der Wendigo Jagd anzurufen. Die Laune sank noch tiefer, als sie Jen mitteilen musste, dass sie nicht mehr in Cheyenne verweilt, sondern nach Butte gezogen ist.
“Die Firma hat hier dringend mehr Personal gebraucht und ich kann eher mal in eine andere Stadt als jemand der fest in Cheyenne wohnt.” versuchte Isabelle ihr zu erklären.
“Aber dann können wir uns ja nicht mehr wirklich sehen.” jammerte Jen.
“Ich wäre auch lieber bei dir in der Nähe geblieben.” sagte Isabelle betrübt.
“Aber jetzt, da du ja sowieso in Butte bist…” begann Jen zögerlich. “Dann könntest du ja Dad mal besuchen.”
“Oh nein, auf keinen Fall. Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich das nicht möchte.” sagte Isabelle sehr bestimmt.
“Ich weiß, dass du das nicht möchtest, aber… es könnte sein, dass mir vor Dad rausgerutscht ist, dass du zurzeit im Land bist und er hat uns beide zum Essen am 10. eingeladen.” sagte Jennie kleinlaut.
“Jen!” Jetzt begann Isabelle zu jammern. “Wie konnte dir das denn rausrutschen?!”
“Wir hatten telefoniert und er hat so gefragt, was ich die letzten Tage gemacht habe und da ist es mir rausgerutscht. Tut mir wirklich leid. Doch sieh es als Wiedergutmachung, dass du mich das Wochenende versetzt hast. Und ich bin bei dem Essen auch mit dabei, du musst also nicht alleine durch.” versuchte Jen ihre Schwester zu beruhigen.
Isabelle seufzte hörbar. Nach kurzem überlegen antwortete sie widerwillig: “Nagut, aber nur das eine Essen. Und ich bleibe nicht länger als nötig.”
“Danke danke bist die Beste. Wir sehen uns.” Damit legte Jennie auf.
Und nun steht sie bereit als Jen mit einem Mietwagen in die Straße fährt. Als das weiße Auto geparkt ist steigt die blonde Menschin aus dem Wagen. Die beiden Geschwister umarmen sich fest und herzlich. Isabelle scheint ihre Nervosität nicht verbergen zu können, denn Jen sieht sie aufmunternd an: “Es ist nur ein Essen Izzy, das wird schon.”
“Das sagst du. Immerhin bist du nicht die Tochter, die sich selten meldet und seit Jahren nicht mehr zu Besuch war.” murmelt Isabelle.
Zusammen machen sie sich auf zum Haus. Als die beiden an der hölzernen Veranda stehen, macht ihnen ein 65-jähriger Mann die Tür auf. Die Haare sind ergraut und er hat einige Falten im Gesicht, aber sonst ist er noch in einem guten Zustand für sein Alter. Als er Jennie erblickt, beginnt er sanft zu lächeln: “Jennie, mein Liebes. Komm her, lass dich mal drücken!”
“Hey Dad.” erwidert ihre Schwester freundlich und die beiden umarmen sich herzlich, während Isabelle etwas unsicher daneben steht.
Als die beiden sich wieder voneinander lösen erblickt ihr Vater Isabelle und er lächelt sie an, wenn auch nicht so wie ihre Schwester: “Isabelle. Schön dich auch mal wieder zu sehen.”
“Hi.” sagt Isabelle bemüht freundlich und drückt ihren Vater leicht.
“Kommt rein, das Essen ist so gut wie fertig!” sagt ihr Vater und zu dritt begeben sie sich ins Haus.
Drinnen empfängt sie eine angenehme Kühle von der Klimaanlage und sie laufen durch den Flur in die Küche. Hier und da sieht man eingerahmte Fotos. Einmal mit seiner ersten Frau Judy, die gerade schwanger mit Jen ist. Sie verstarb bei der Geburt. Ihr Vater hatte dann nach einer Weile Isabelles Mutter geheiratet und diese wurde dann mit ihr schwanger. Man sieht noch Fotos von ihrem Dad und ihrer Mom, sowie von den beiden Halbgeschwistern.
In der Küche kommt ihnen ein leckerer Duft entgegen, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
“Setzt euch ruhig schon mal ins Esszimmer, ich komme gleich mit dem Essen.” sagt ihr Vater gut gelaunt. “Ich hoffe ihr freut euch auf Gebratenen Fisch mit Salat und Reis.”
“Und wie. Ich hab großen Hunger.” sagt Jennie lachend. Isabelle hat es noch nicht geschafft ihre Nervosität zu verlieren und daher steht sie nur unsicher da und lächelt.
Bevor die Situation für alle unangenehm wird, zieht Jen ihre Schwester ins Esszimmer. Leise flüstert sie Isabelle zu: “Sei doch nicht so nervös. Er ist doch gut drauf. Vielleicht wird es doch noch ganz nett.”
“Es ist für mich aber nicht so einfach. Das letzte mal als wir telefonierten musste ich mir die ganze Zeit anhören, warum ich ihn nie besuche, ob ich denn mein ganzes Geld für Drogen ausgebe. Oder warum ich denn so blass und müde aussehe.” zischt sie Jen zu.
“Man muss aber auch sagen: du siehst etwas blass aus, im Gegensatz zu uns.” probiert Jen zu scherzen.
“In Seattle ist halt nie wirklich Sonne so wie hier. Da kann man nicht wirklich braun werden.” Isabelle schaut sie leicht genervt an.
“Es war auch nur ein Witz.” sagt Jen beschwichtigend. “Bis jetzt ist er doch nett. Wenn er sieht wie gut du dich gemacht hast, wird er bestimmt sowas nicht mehr sagen.”
“Naja wir werden ja sehen.” sagt Isabelle finster und die beiden nehmen am Tisch Platz.
Kurz darauf kommt ihr Vater mit einem lecker zubereiteten Gericht um die Ecke und sie setzen sich zusammen an den Tisch und beginnen zu essen.
Eine Weile hört man nur das Klirren des Bestecks auf den Tellern bis ihr Vater das Wort ergreift: “Schön, dass du es einrichten konntest herzukommen. Schade nur, dass ich erst von Jennie erfahren musste, dass du überhaupt in der Nation bist.”
“Ach naja, ich hatte halt viel mit der neuen Arbeit zu tun und kam nicht so wirklich dazu.” sagt Isabelle so überzeugend wie möglich.
“Du hättest trotzdem mal anrufen können. Mit deiner Schwester konntest du dich immerhin auch treffen.” sagt ihr Vater etwas beleidigt.
“Ich bin ja jetzt da.” sagt Isabelle so ruhig wie sie es kann. Das Gespräch entwickelt sich jetzt schon in eine Richtung, wie sie es erwartet hat.
“Ja jetzt, nachdem sich deine Halbschwester darum bemüht hat. Von alleine wärst du ja nicht gekommen.”
Wäre ich auch nicht denkt Isabelle genervt.
Ihre Schwester probiert das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: “Und Dad, wie geht es dir eigentlich? Was macht der Laden?”
“Er läuft gut, wenn auch zur Zeit etwas weniger zu tun ist als üblich. Und wie läuft deine Arbeit Frau Professorin? Wenigstens du hast deine Karriere nicht in den Sand gesetzt.” stichelt ihr Vater.
Isabelle lässt hörbar ihr Besteck auf den Teller fallen: “Musste das jetzt sein?” fragt sie sichtlich genervt. “Denkst du nicht, dass ich lieber weiter als Unfallchirurgin weitergearbeitet hätte? Ich habe meinen Job geliebt.”
"Scheinbar ja nicht, wenn du dich mit Drogen zuballern musst. Schlimm genug, dass deine Mutter das nicht bemerkt und dich gestoppt hat.” wirft ihr Vater Isabelle vor.
“Zieh ja nicht Mom mit in die Sache hinein. Sie kann rein gar nichts dafür! Ich bin selbst verantwortlich für meine Situation gewesen.” Isabelles Stimme wird hörbar lauter.
“Trotzdem war sie zu blind zu bemerken, dass ihre einzige Tochter drogenabhängig war. Hier unter meinem Dach wäre das nicht passiert.”
Isabelle beginnt zu schnauben: “Ja genau, weil du ja so ein guter Vater bist. Deswegen kamst du mich ja auch so oft besuchen. Halt nein, das hast du nicht. Mom hat mich allein großgezogen und hatte es auch nicht immer einfach.”
“Ich kann doch auch nichts dafür, dass sie sich von mir getrennt hat! Außerdem hast du mich ja auch nie besucht!” erwidert ihr Vater. “Wie auch? Du hast dich entweder kaputt gearbeitet oder warst pleite und hast wahrscheinlich zugedröhnt in irgendeiner Gasse gelegen. Dass du heute hier überhaupt stehst wundert mich ja. Ich hätte damit gerechnet, dass du es nicht schaffst, so ganz allein. Oder dass du komplett auf die falsche Bahn kommst und dich nur noch mit zwielichtigen Gestalten triffst!"
“Und doch stehe ich hier, vier Jahre clean und mit einem festen Job. Und das hab ich ohne deine Hilfe geschafft! Und weißt du was?” Isabelle erhebt sich von Stuhl.
“Ich schaffe es auch weiterhin ohne dich! Ich höre mir doch nicht jedes mal deine ständigen Vorwürfe an. Ja ich habe Fehler in meinen Leben gemacht, die ich auch zutiefst bereue, aber ich habe es geschafft mich zu ändern, auch wenn du es nicht sehen willst.”
Isabelle geht zur Tür und Jennie schaut ihr traurig hinterher. Isabelle schaut nochmal zu ihrem Vater: “Übrigens hätte ich lieber Umgang mit den zwielichtigen Gestalten als mit dir, denn die würden mich eher so akzeptieren wer ich bin, als du.” und knallt die Tür hinter sich zu. Sie hört noch wie ihre Schwester nach ihr ruft, ignoriert es aber und verschwindet aus dem Haus.