Besuch am Meer - Sunny

Montag 04.10.2076 - Townhouse Cambridge - 8 Uhr morgens

Sunnys Beine schmerzen. Seit 1.5 Stunden dröhnt bereits der gleiche Song immer und immer wieder in ihren Ohren. Jeder Schritt den sie auf dem Laufrad tut, fühlt sich gut an.
Ihre Lungen brennen, ihre Beinmuskulatur zittert. Wenn sie sich von mehr als Chardonnay und Beruhigungsmitteln (die ihr zu ihrem Unwohlsein langsam knapp wurden) ernähren würde, hätte sie vermutlich bereits großartige Beinmuskulatur entwickelt.

“Wo sollen die Muskeln denn hin, so dünn wie sie ist. Höhö.” Sie liebt Daisy, und sie findet es süß, dass sie und Aiden die ab und zu neben dem Laufband auftauchen, denken sie würde sie nicht hören. Aber die beiden haben keine Ahnung.
Aiden hatte sein Entführungstrauma in etwa 3 Stunden mit sich selbst ausgemacht. Ein bisschen hatte Holliday mit ihm gesprochen.
Daisy war in Traumabewältigung geübt.
Sunny nicht. Sie ist nur in Traumata geübt.

I ran away from the pain
Always breaking down inside
Incomplete
But now I see
This won’t be the end of me

Der Song wurde seit Tagen mal lauter mal leiser, aber er war immer da.
Und sie kann die Gesichter der anderen Leute in diesem Haus nicht mehr ertragen. Wie sie versuchen das beste aus allem zu machen. Als wäre die Situation keine aussichtlose scheiße. Als stünde der nächste Lagerkoller nicht direkt bevor.

Als würde Knight Errant sie nicht potenziell jahrelang in dieser Sperrzone sitzen lassen.
Die Lebensmittel wurden langsam knapp. Vielleicht wollte man sie auch strategisch verhungern lassen um diese “Enzephalitis” im Keim zu ersticken.

Wenn das was hier vorgeht wirklich eine “Enzephalitis” war, würde Sunny das gesamte Laufband am Stück fressen.
Sie schüttelt den Kopf und rennt weiter. Eine Stufe höher, schneller, mehr Steigung.

“Wie ein Hamster, nur eleganter” waren Aidens Worte.
Und so fühlt sie sich auch. Wie ein beschissenes kleines Nagetier, in einem viel zu kleinen Käfig.
Irgendwann würde all das ihr komplett um die Ohren fliegen.
Wenn Alkohol, Nahrung, Munition und Strom wegfallen, stellen 8 Runner auf engem Raum eine hochexplosive Mischung dar.

Oder wenn die Gruppe erfahren würde woran Sunny und Daisy eigentlich das Frühjahr über geforscht hatten.
Dass es nicht irgendeine KI war die sie ausgegraben und nachgebildet hatten, sondern die KI die fast einen Großteil der Gruppe ermordet hatte.
Sie würden nicht verstehen, dass das an der KFS Infektion lag. Dass Turry begnadet war, begnadet ist, was auch immer das MIT&T mit Sunnys Version von ihr gemacht hatte.
Holliday vielleicht, er hatte genug mit Technikphilosophie am Hut. Oder seine Exfreundin Mary. Aber der Rest? Würde ihr vermutlich nur den Arsch aufreißen.

Dabei war ihre Turry noch besser als die Originale. Kurz davor Dunkelzahns Komitee vorgestellt werden zu können. Und dann diese scheiße.

“Die erste Gruppe die einen sich selbst motivierenden Roboter konstruieren würde, der auf die Spezifikationen passt die bei der Draco Foundation ausliegen, sollte 10 Millionen bekommen um die Forschungen fortzusetzen”

So stand es in Dunkelzahns scheiß Testament. Und sie ist mit Daisy und Doyle gut genug das hinzukriegen. Das weiß sie. Sie musste nur irgendwie wieder zurück in ihr Labor kommen…

Sie zuckt zusammen als sie einen Arm an ihrem Rücken spürt und das Laufband langsamer wird.
Sie zieht die Kopfhörer ab.
“Fuck Ellie was machst du hier denn! Deine Hand! Du blutest.”
Sie braucht eine Sekunde um zu bemerken, dass der blonde Mann ihres Alters nicht Aiden ist.
“Callahan… Was machst du hier? Hat dich jemand gesehen? Hast du jemanden gesehen?!”
“Was machst du hier?! Und ihr! Bringt ihr verdammt nochmal was für auf die Wunde.” Er scheucht Aiden und Daisy weg.

Sunny sieht flüchtig auf ihre blutende Hand.
“Hast du die anderen gesehen Callahan?!”
“Du hast dich gebissen. Fuck was ist denn mit dir los?” Callahan sieht sie besorgt und wütend an.
“Ich finde nichts sauberes!” schreit Daisy und Callahan seufzt.
“Stillhalten.”
Er schließt die Augen und kleine dunkelblaue Wellen tanzen über Sunnys Hand. Die Wunde verschwindet binnen Sekunden.
“Da… Danke.” Sagt Sunny knapp und schüttelt ihre Hand.
Callahan versucht sie beim aufstehen zu stützen. “Komm mit. Wir reden.”
Er zieht sie hinter sich her.

“Wer ist denn das?” fragt Aiden Daisy am Ende des Flurs.
“Dein älterer magischer Konkurrent von Saeder-Krupp. Ich freu mich schon auf euer Duell im Morgengrauen. Sie findet euch aber beide nicht toll. Ihr seid 30 Jahre zu jung. Mach dir nix draus kleiner.”

In ihrem Zimmer hält Callahan ihr ein Glas Wasser hin.
“Was willst du hier Patrick?” Sunny nimmt das Glas Wasser in die Hand.
“Ich wollte fragen ob ihr noch Kaffee habt. Dann wollte ich fragen wieso du, Daisy, Aiden und Regi ungefähr 3000 Waffen da unten habt. Dann hab ich gemerkt, dass du wohl erstmal jemanden zum reden brauchst. Und jetzt sag nicht nein. Ich kann emotionale Auren auslesen. Das weißt du. Und deine sieht aus wie die von jemandem der am liebsten vor 2 Wochen Selbstmord begangen hätte.”

Sunny stellt das Glas Wasser zur Seite und zieht eine Flasche Chardonnay aus einer Kommode die Callahan ihr abnimmt und sie deutlich astral-scannend anblickt. “Nicht mit deiner Dosis Xanax im Blut. Mich hat niemand gesehen. Nur Daisy und der blonde. Schmeichelhaft dass du dir ein Mini-Me…”
“Er ist Technomancer. Und schlüpft hier unter. Und wenn du das irgendjemandem…”

“Ich finde Holliday den coolsten Elfen der Welt. Hast du das Auto gesehen?! Ich will den Elf als Actionfigur. Ist mir egal was ihr mit dem felllosen Technocritter macht. Mein Dad ist nicht in der Stadt Elana. Ich bin alleine. Ich bin keine Gefahr und ich will auch keine sein.”
Sunny mustert den Mensch kritisch. In der Tat hat er einige Ähnlichkeiten mit Aiden. Sie versteht worauf Daisy hinaus will.

“Sagst du mir jetzt was mit dir los ist?”
Sunny setzt sich auf ihr Bett. “Ich will dass das alles aufhört.”
“Was?” Der Mensch nimmt das Glas Wasser wieder an sich und setzt sich neben sie.
“Der Schmerz. Dass Jason weg ist… Ich verkrafte es nicht Patrick. Alles was ich tue, jeder Gedanke, die Arbeit, der Kontakt zu YET. All das tut ohne ihn weh. Weißt du was seine letzten Worte zu mir waren?” Sunny starrt gradeaus gegen die helle leere Wand und murmelt “ ‘Lass dich nicht wieder in die Runner-Sache mit rein ziehen Ellie. Wir sind besser als das.’ Und jetzt geht das alles wieder von vorne los.“ Ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie sackt leise schluchzend in sich zusammen.
Seit Wochen hatte sie nicht mehr geweint. War immer unter Strom. Und heute steht sie ohne Idee da wo es weitergehen soll.

Patrick Callahan mustert die weinende Elfe kurz. Bevor er an der Uni auf technikimplizierende Magie umgestiegen war, hatte er sich viel auf Empathie, Gefühle und Wesensveränderungen konzentriert. Es war die Magie zu der er selbst gefunden hatte, nicht die für die er sich dann entschieden hatte.

“Ich kann machen dass es nicht mehr weh tut. Kurz. Naja… Eine Zeit lang. Das hilft.” Er greift die Hände von Sunny und die sich wenig zu wehren scheint und schließt die Augen.

Dunkle blauen Wellen umspülen Sunnys gesamten Körper. Sie hat das Gefühl Meeresluft zu riechen, für einen Augenblick hört sie eine Möve kreischen und spürt leise knarzenden Sand unter ihren Schuhen mitten in ihrem Zimmer. Sie atmet tief ein. Und spürt keinen Schmerz. Patrick hält ihre Gedanken und Emotionen vollständig in der Simulation. Sie kneift die Augen fest zusammen und gibt sich dem Traum ähnlichen Zustand hin. Sie hört lachende Kinder, riecht Sonnencreme, ein paar Surfer im Wasser kann sie ausmachen.
Callahan kann den Zustand angestrengt für 15 Minuten halten, dann wacht Sunny langsam auf. Sie atmet tief ein als sie zu sich kommt.

“Das hat geholfen. Danke.”
“Wenn dir hier alles auf den Kopf fällt… Ich hab jederzeit Platz für dich Elana. Ist ja nicht weit weg.”
Sunny nickt langsam. “Wieder danke.” Sie lächelt.

“Der Typ da draußen ist echt Techi?! Und du hast ihn noch nicht zu Jeremiah geschleift?!”

Es fällt Sunny wie Schuppen von den Augen. Der Mann war aktiv am Wiederaufbau der Überbleibsel des 2. Crashes beteiligt gewesen und leitet am MIT&T eine geheime Hackerorganisation die mit GOD zusammenarbeitet. Wenn sich jemand in der Nähe mit Technomancern auskennt dann er.
Sie schlägt ihre Hand gegen die Stirn und Callahan lacht auf.

“Du hast nicht zufällig noch eine Idee wie ich an NeoNET Forschungsdaten komme oder?”

Er hält inne und steht auf. Er wandert durchs Zimmer. “Uni-Forschung über Jeremiah. Sonst…” Er schnappt ihr Deck. “Das Ding ging doch nur an High-Class Mitarbeiter oder? Garantiert ist da irgendwo tief drin ein natürlich nicht freigeschalteter Zugang. Wenn du jemanden kennst der mal bei NeoNET war und jemanden hast der gut hacken ka…” Sunny springt vom Bett auf, zieht ihm das Deck aus der Hand und gibt ihm als Übersprungshandlung, die sie selbst nicht registriert, einen Kuss auf die Wange.

“Patrick das ist GENIAL! Du musst hier raus! Kletter über meinen Balkon! Ich geb dir Kaffee ab wenn wir wieder welchen haben! Aber jetzt muss ich…” Bei diesem Wort knallt ihre Zimmertür hinter ihr zu und lässt einen leicht geröteten Callahan zurück der sich über den Balkon und die Feuerleiter davon macht.

5 „Gefällt mir“

Wer findet das denn bitte nicht?

4 „Gefällt mir“

Mary? Mina?

4 „Gefällt mir“

MANNO

4 „Gefällt mir“

Omfg ich liebe sie. Hahahaha. :joy:

Der arme :smiley: ab über den Balkon! :joy:

Sehr sehr schöne Fiction ! Und das wird ein spannender Konflikt für Sunny ob Runner oder nicht :heart_eyes:

4 „Gefällt mir“

Dr. Percival has entered the Chat. :eyes:

4 „Gefällt mir“

Dr. Percival sollte sie mal umarmen! :b die zwei können sagen was sie wollen aber Sunny braucht einen Dad-Hug!

4 „Gefällt mir“

Eine sehr schöne Fiction :heart_eyes: wie immer eigentlich :blush:

3 „Gefällt mir“