13 Jahre zuvor,
Sacred Heart Academy
Charlotte Baker stand an ihrem Spind, nahm ihre Bücher raus für die nächste Stunde und hörte Madison zu wie sie irgendwas über irgendwen erzählte der irgendwas mit irgendwem gemacht hatte. Sie grinste leicht und hob ihre Tasche auf vom Boden.
“Ich hab keine Ahnung wer diese Leute sind und ich glaub nicht, dass sie sonderlich wichtig sind. Hör zu, ich verbring die Pause in der Bibliothek und wir sehen uns in der Mittagspause draußen auf der Wiese, ok?” Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Charlotte los in Richtung Bibliothek. Leicht verstört ignorierte sie ihre Mitschüler, das Leben der Reichen und Schönen war eine völlig fremde Welt. Mit ihren schweren Kampfstiefeln, der zerrissenen schwarzen Jeans und ihrem zu großen Hoodie (was eigentlich mal dem jungen Ork-Typ von nebenan gehört hatte) stach sie leider doch etwas heraus zwischen all den schicken Blusen, Hemden und Kleidchen…
Als sie zur Bibliothek kam, lehnte neben der Eingangstür ein Typ in seiner Lacrosse Jacke mit seiner Tasche auf dem Boden. Er packte sein Handy weg und traf ihren Blick.
“Baker! Hey!” Abrupt blieb sie stehen. Er kam ihr bekannt vor, aber sie konnte nicht ganz sicher sein woher. Ihr verwirrter und misstrauischer Blick schien ihn zu verunsichern. “Ich sitz’ in Mathe hinter dir?”
“Ohhhh klar. Was gibt’s?” Woher sollte sie denn wissen wer hinter ihr saß, dachte sie sich. Er kratzte sich im Nacken. “Schon gut. Du weißt nicht wer ich bin.” Sie zuckte mit den Schultern und nickte. “Sorry, ich kenn’ noch nicht so viele Leute,” sagte sie kühl und hoffte, dass er endlich zum Punkt kam oder verschwand. Er lächelte sie leicht an, kramte kurz in seinem Rucksack und nahm dann eine Dose raus.
“Du gehst immer in die Bibliothek während der Pause… und ich seh dich Mittags immer auf der Wiese in der Nähe vom Sportplatz-”
“Spionierst du mir etwa nach?” unterbrach sie ihn forsch.
“Nein, ich… Hier. Nimm einfach.” Er drückte ihr die warme Dose in die Hand. “Gib sie mir einfach nach dem Lacrosse Training zurück,” murmelte er, zwinkerte ihr zu und lief dann an ihr vorbei zu seiner Gruppe “Lacrosse-Spinner” wie Charlotte sie gerne nannte. Charlotte sah ihm entgeistert nach, öffnete dann aber doch die Dose die er ihr gegeben hatte. In der Dose war frisches Essen. Der Duft der ihr entgegen stieß ließ ihr das Wasser im Mund zusammen laufen. Frischer Reis, Fisch und Rührei und dazu Gemüse. Sie lächelte leicht. Normalerweise nahm sie sich morgens mit was auch immer sie unterwegs finden konnte, was meistens nicht viel war und definitiv nicht so frisch und heiß. Sie blickte über ihre Schulter und konnte sehen wie die anderen Jungs ihn aufzogen beim weggehen. Auf der Rückseite seiner Jacke stand in großen weißen Buchstaben “TAYLOR”.
Gegenwart,
7ter Juni. 23:27 Uhr
Seitenstraße zu Mitsuhama HQ
“Hast du jetzt alles?” fragte Charlotte nervös. James sah nochmal über den Kofferraum, nickte und schloss ihn dann. Nervös sahen die zwei sich immer wieder um. In der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen, aber es war das sicherste für sie.
“Wir müssen los” flüsterte er ihr zu und zog sie an sich.
“Ich weiß…” Das Paar kuschelte sich noch enger für einen Moment und dann löste sie sich langsam von ihm. Charlotte sah ihrem Ehemann in die Augen, küsste ihn sanft und ließ ihn dann noch einmal die SINDateien nachprüfen. Vorsichtig öffnete sie die hintere Tür und strich Minoru über seine bleiche Wange. Der fragile achtjährige sah sie müde an und murmelte ein ruhiges “Mummy” bevor seine Augen auch schon wieder zu fielen. Charlotte küsste seine Stirn und flüsterte: “Mummy ist bald wieder da, Mino… Du machst jetzt mit Daddy eine Reise… Ein Abenteuer… “ Ihr Blick fiel auf die unscheinbare “Spielzeug”-Truhe hinter dem Fahrersitz. Genug Vorräte um Minoru hier weg zu bringen. Hoffentlich entwickelte er nicht plötzlich einen Durst nach etwas … frischerem.
Es war überraschend einfach gewesen Minoru aus Mitsuhama raus zu bekommen, die Frage war nur wie lange es ihnen nicht auffallen würde. Mit ein bisschen Glück würden sie auch nicht die neue Empfangsdame feuern, die ja nicht wissen konnte wenn sie dort entließ. Sie strich ihm noch einmal liebevoll durch die Haare und schloss dann wieder die Tür. James stand an der Fahrertür und lächelte sie an.
Mit schwerem Herzen entfernte sie sich langsam vom Auto und verschränkte die Arme. Gerade als er sich setzen wollte rief sie ihm zu, “Hey Baker!” Er warf ihr über seine Schulter einen fragenden Blick zu.
“Ich hab dir eine Bentobox gemacht… Sie ist in deiner Tasche.”
Die Überraschung war ihm eindeutig anzusehen, dann lachte er leicht, nickte und stieg ein. Charlotte sah zu wie der Wagen ansprang und sich dann langsam entfernte. Solange sie konnte starrte sie den Rücklichtern nach. Familie Baker. ‘Daran könnte ich mich gewöhnen’, dachte sie und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Marrero. Gut, hatten sie schon vor Minorus Geburt in ein privates Safehouse investiert von dem auch wirklich nur sie und James wussten. Die abgelegene Hütte im Mount Maxwell Provincial Park würde ihnen die Privatsphäre geben die sie nun so dringend brauchten. Besser noch, es war weit weg von komischen Familienangehörigen und erdrückende Kons. James konnte in Victoria einen Bürojob machen und sie konnte ein Fernstudium anfangen. Endlich konnten sie die Dinge tun, die sie wollten. Das sonst so beklemmende Gefühl verließ sie langsam als sie von der Brücke aus auf New Orleans blickte. Bald lag all das hinter ihnen.