[Triggerwarnung: Trauer]
Cambridge Townhouse - 20.9.2076 - 12.30 Uhr
Sunny sitzt alleine in dem ausladenden Raum im 3. Stock ihrer Wohnung, der einst ein Gästezimmer war. Und dessen Bett jetzt auf dem Flur steht.
In den Raum hatte Aiden ihr zusammen mit Holliday einige Tische getragen und sie hatte das bisschen ihrer universitären Forschung, dass sie hier hatte, sorgsam platziert.
Musik dröhnt auf ihren Ohren und sie starrt auf ein Interface, randvoll bis oben hin mit Code.
Eine K.I. zu programmieren hatte beim ersten Mal gut funktioniert, so betet sie, dass das was sie hier zusammentippt in irgendeiner Form Sinn macht. Denn sie braucht diesen Erfolg aktuell mehr als alles andere.
Ihre Hände zittern zunehmend und ihre Nerven flattern. Sie lehnt sich etwas im Stuhl zurück und drückt am Ende des Interfaces einen Playbutton.
Ein kleines Mikrofon-Ikon leuchtet auf.
“Guten Nachmittag, Jason.” die Stimme aus ihrem Mund wirkt genauso zittrig wie ihre Hände. Sie nimmt einen großen Schluck aus ihrem Glas mit Chardonnay den sie heimlich in ihrem Zimmer versteckt hielt.
“Hey Ellie, na wie gehts dir?”
Der Computer ahmt bis zur Perfektion die Stimme ihres erschossenen besten Freundes nach. Sie kneift die Augen zusammen als sie sich mit Tränen füllen.
“Hey Ellie, nicht heulen. Alles wird wieder. Wir sind jung, uns steht noch alles im Leben offen.”
Sunny drückt einen Escape Button als ihr auf einmal Speiübel wird.
Erst jetzt, als einzelne Tränen ihre Wange hinunter rollen und sie die Augen wieder öffnet bemerkt sie dass die Zimmertür sich hinter jemandem schließt und John Doyle vor ihrem Schreibtisch steht.
Er mustert sie eindringlich. “Miss Percival.”
“Bitte sparen Sie sich den Kommentar Mr. Doyle.” Sie wischt sich die Tränen mit einem reinweißen Stofftaschentuch ab.
“Würde ich gerne, aber das letzte Mal als es so nach Beruhigungsmitteln und Weißwein gerochen hat, war als ich Thanksgiving bei meiner Mutter verbrachte und meine überkritische Tante Ashley zu besuch kam. Miss Percival, das ist kein gesunder Umgang mit Toten oder Trauer. Und Holliday scheint hier zwar als der örtliche Jugendbetreuer zu fungieren, aber dennoch sind Sie meine Studentin.”
Er blickt zurück zur Tür.
“Apropos. Da draußen steht der Welpe der aussieht wie ein Abercrombie&Fitch Model, das aus versehen ein Cyberdeck verschluckt hat. Wollen Sie den nicht beschäftigen? Wieso hat er eigentlich so Angst vor ihrem Vater?”
“Mein Vater kleidet einen militärischen Rang aus. Major. Bei den Russen und auf ne andere SIN aber für Leute wie Aiden bedeutet das was. Und mein Vater kann ihn nicht leiden. Alle denken, das wäre weil er mich anstarrt, aber ich denke er erinnert ihn an sich selbst in dem Alter.”
Doyle nickt langsam.
“Spinrad&Fitch.” Sunny nimmt noch einen Schluck Wein.
“Was?”
“Das Unternehmen wurde kürzlich von Kon-Playboy Johnny Spinrad gekauft. Der kauft im Moment alles was er lustig findet.”
“Hm… Vielleicht sollte ich wenn ich hier raus bin mal Kontakt mit Spinrad… Darum geht es nicht. Sie müssen etwas mit dem menschlichen Potential tun, dass da ihre Tür angafft Elana.”
“Muss ich nicht. Er kann als Technomancer weniger als ich mit meinen Händen. Und weniger als Joker und der ist irgendwann vor 1.5 Jahren zufällig auf ein Cyberdeck gestürzt oder so. Begnadeter Hacker dafür. Der Junge da draußen verschenkt sein Potential nur und raubt Holliday seine Zeit.”
Doyle mustert sie erneut eindringlich.
“Was?! Was schauen Sie denn so?!”
“Ich hatte an der Uni einen begnadeten Professor. Wissen Sie was dieser immer gesagt hat? Man Unterrichtet niemanden indem man ihn mit der Nase in den Dreck schubst. Sie sind seine Chance etwas zu lernen und etwas aus ihm zu machen, woran ihm auch wirklich etwas liegt. Weder Holliday, noch ich haben die Kapazität ihn so ausführlich auszubilden wie Sie das könnten. Und glauben Sie mir, wenn er mal was kann, werden Sie froh sein ihn zu kennen! Technomancer haben große Macht.” Er stößt die Tür auf und winkt. “Aiden, kommen Sie rein. Ich zeige Ihnen beiden wie coden aussieht wenn man lange genug dabei bleibt.”
Sunny mustert den hereinkommenden Menschen abschätzig. Er ist zwar zwei Jahre jünger als sie selbst, aber etwa genauso groß und deutlich trainierter.
“Wenn er mal etwas kann, kann er vielleicht ihre KFS Forschung revolutionieren Elana. Ich bin mir in der Theorie recht sicher, dass Technomancer mit Naniten interagieren können.”
Aiden blickt Sunny leicht triumphierend an. Sie greift erneut zum Chardonnay.
“Ares verbietet den Konsum von Alkohol unter 21 Jahren.”
“Der moralische Kompass verwischt wenn einem der Laden gehört.”
“Deiner Mutter gehört ein Drittel der größten Tochterfirma.”
Sunny zuckt mit den Schultern. “Reicht mir.” Sie setzt erneut das Weinglas an.
“Wie steht es um unseren Code der nicht Tote zum Leben erweckt Elana?”
“Ich stocke.” Sie knirscht mit den Zähnen. “Weiß nicht wie es weitergeht.”
“Na wunderbar.” Der Ende 30 Jährige Mensch öffnet einige AROs “Elana und ich arbeiten an MAD-Scannern die nicht nur nach Waffen scannen sondern auch Nanitenstämme im Blut nachweisen um potenziell KFS-Infizierte frühzeitig zu erkennen und auszusortieren, bevor sie zur Gefahr werden. Hauptsächlich für öffentliche Gebäude, Großveranstaltungen und so weiter. Sollte Wüterausbrüche eindämmen. Anschließend kann man sich auf seinen Stamm testen lassen und dann… Hängt die derzeitige Behandlungsart vom Stamm ab.”
“Depressive Resignation oder Sicherheitsverwahrung und damit aktuellen Beobachtungen nach überwiegend Selbstmord bevor man zu einer Killermaschine wird. Tolle Aussichten.” Sunny zieht die Flasche Chardonnay unter dem Tisch hervor.
Aiden kratzt sich die Stirn und wendet sich zu Sunny um. “Sowas kannst du?”
Sie zuckt mit den Schultern. “Ich schreibe Code seit ich als ich 9 war, die Farben der Schabracken in meinem StarStable Spiel farblich anpassen wollte. Ziele werden größer wenn der beste Freund von Knight Errant Soldaten standesrechtlich hingerichtet wird.” Sie blickt abfällig auf seinen “Aurelius Academy” Sweater auf dem im Untertitel “Wir formen Knigth Errant von morgen” und ein Emblem des Militärprograms der Schule prangt.
“Oh… Ehm… Sorry.” Er zieht den Pulli unter dem sich ein einfaches weißes Shirt befindet, aus.
Doyles Blicke die zwischen den beiden hin und her springen wirken etwas belustigt durch die Show in der Aiden versucht eigentlich netten Kontakt zu knüpfen und Sunny wirkt als wäre er eher etwas wie eine Amöbe mit Sixpack.
“Ich kriege keinen Zugriff auf die KFS-Datenbibliothek mit in die Scannersoftware.” Wirft Sunny Doyle vor die Füße, bevor er weitere Kommentare ablässt.
“Na schauen wir mal.” Doyle setzt eine Brille auf, die ihm wohl hilft, wichtige Stellen im Code optisch zu highlighten. Aber trotzdem, für einen mundanen Menschen springen John Doyles Augen in atemberaubender Geschwindigkeit über den Code.
Sunny steht auf um dem ARO näher zu rücken. Nur dadurch fällt ihr überhaupt auf, dass er ab und zu kleine Änderungen am Code durchführt. Sie kneift die Augen zusammen. “Wie…?”
“Miss Percival, sie sind zwar sehr gründlich und motiviert und Aiden mir körperlich in der Hinsicht Meilenweit überlegen, aber ich mache das nicht seit 10 Jahren sondern seit 30 Jahren. Täglich und mit Leidenschaft. Ich habe eigene Tech-Startups an die Tripple A’s verkauft, da haben sie noch Schabracken bei StarStable umgefärbt.”
Die beiden jungen Metas sehen ihn verwirrt an.
“Schnell wird man von alleine. Das ist nicht das Problem. Was Sie bis jetzt geschrieben haben ist gut Elana. Die Fehler waren knifflig.” Er steht auf.
“Wollen Sie mir nicht sagen wo meine Fehler lagen?”
“Das mache ich. Wenn Sie Aiden unterrichten.”
“Aiden lass den Computer ‘Hallo Welt’ sagen.”
Es dauert keine 2 Sekunden, da sagt der Lautsprecher blechern ‘Hallo Welt.’
“Sehen Sie! Ich bin eine großartige Lehrerin! Wo liegen meine Fehler?!”
“Ich sage es Ihnen sobald er ohne Hilfe und ohne Spracheingabe aus der Ferne den Mixer bedienen kann. Eine Bahama Mama mixen. Ich weiß wie ich meine Studentinnen motiviere. Und sie treibt es in den Wahnsinn, wenn Ihnen nicht die Chance auf Wachstum zur Verfügung steht.” Er zuckt mit den Schultern und verlässt den Raum.
“FUCK.” Schreit Sunny und stürmt ihm hinterher. Beim Verlassen des Raumes hört sie ein: “Wo steht denn dieser Mixer mittlerweile? Dann kann ich schon mal…”
Sunny stürmt die Treppe hinunter. An der Tür steht Daisy mit einer Schrotflinte.
“Was ist hier schon wieder los?”
“Da steht ein KE Auto gegenüber. Der Fahrer macht irgendwie nix.” Daisy schielt verstohlen aus dem Fenster statt einfach die Kameras zu nutzen.
“Wie er macht nix?” Sunny runzelt die Stirn.
“Na nix halt!”
“Joker? Welche Dienst-ID sitzt in dem Auto? Ich hab kein Deck zur Hand.”
Es dauert einen kleinen Moment.
“McCarthy.”
“Habt ihr vielleicht nen Abstimmungstermin? Oder will er Aiden?” Daisy schiebt einen Vorhang zur Seite um besseren Blick zu bekommen.
Sunny seufzt. “Ich fürchte er will zu mir.” Sie entriegelt die Tür und stürmt heraus auf die Straße.
“Wenn Sie sich jetzt den nächsten Dienstgrad damit verdienen wollen mein Haus Babyzusitten nur weil sie den Wagner Jungen nicht…!” Sunny poltert über die breite und gepflegte Straße und den Teil den Nayad auseinandergenommen hatte und erst als sie den Kopf quasi in den gepanzerten Chevy steckt fällt ihr das verquollene rot angelaufene Gesicht des Mannes auf.
Er wischt sich noch einmal schnell mit dem Ärmel der Uniform übers Gesicht um seine Tränen zu verstecken.
“Miss Percival… Ich hab gar nicht drauf geachtet vor welchem Haus ich stehe. Entschuldigen Sie… Ich… Es… Es ist alles so viel im Moment. Ich möchte Sie nicht damit…”
Ihm fällt die Amoeba Striker S3 Ares Schrotflinte in ihrer Hand in den Blick.
“Gut, dass Sie und ihre Bekannten auf sich aufpassen.” Er verzieht das Gesicht zu einem schiefen lächeln.
Sie überlegt McCarthy auf einen Kaffee hereinzubitten, bis ihr das Rudel Schwerverbrecher in ihrer Wohnung wieder in den Sinn kommt, er wusste zwar von ihnen, aber kennenlernen musste er sie nicht.
McCarthy unterbricht ihren Gedanken: “Ich habe nachgeforscht. Das mit Brackhaven tut mir sehr leid. Und das mit dem Schreyer Jungen. Es fällt mir bei jedem KFS Fall unendlich schwer einzugreifen. Und er war so jung… Der Vater beim Militär… Es tut mir leid.” Seine Augen scheinen sich wieder mit Tränen zu füllen.
Sunny empfindet tatsächlich etwas Mitleid für den Mann der das Kommando für den Abschuss ihres Freundes gab. Ihr fällt ein Foto-ARO auf dem Beifahrersitz auf.
“Suchen Sie Aiden noch?”
Der Polizeikommandant nickt. “Er wurde entführt und dann von Runnern exfiltriert. Seit dem… keine Spur von ihm. Wir suchen und suchen aber… Keine Chance… Wir hoffen einfach ihm geht es gut. Er ist so ein netter und engagierter Junge.”
Er verzieht erneut das Gesicht und beginnt leise zu Schluchzen auch wenn alles in ihm das zu unterdrücken versuchte.
Sunny weiß es zu schätzen wenn Leute mit militärischer Ausbildung ihr Herz und ihre Persönlichkeit behielten.
“Es geht ihm gut.” Sagt sie eindringlich.
Der Cop lächelt. “Ja klar. Bestimmt. Wir suchen weiter.”
“Nein Lieutenant General. Es. Geht. Ihm. gut.” Wiederholt sie eindringlicher als zuvor ohnehin schon.
Sie dreht sich um und läuft ruhig und stoisch zurück in ihr Haus.
Sie beobachtet den Wagen noch kurz, der nach einigen Minuten davon fährt.
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Man will sie einfach so knuddeln. Aber sie verliert auch andauernd Leute zusätzlich zu recht abwesenden Eltern ! 
