04.07.2077 - Safehouse der Gruppe - Willow Bunch/Heutiges Saskatchewan
Keziah blickte gedankenverloren auf das kleine Ledersofa welches im Wintergarten des gebuchten AirBnB der Gruppe stand. Auf diesem unterhielt sich Ben mit seiner Mutter über den Rückgang und die Rückkehr seiner Magie. Selbstverständlich hatte Beatrice Kendall bereits mehrfach angeboten mit einem Geisterpakt den Verlust seiner Magie auszugleichen. Und selbstverständlich hatte Ben Kendall jeden dieser Gesprächsversuche abgeblockt. Das letzte, dass Ben wollen würde wäre einen bindenden Pakt an seine Mutter. Deshalb besprachen die beiden gerade erste mögliche Anlaufpunkte seine Magie zu stärken ohne dass Beatrice ihm Karma und Mana teilen würde.
Keziah dachte zurück an die Nacht als die von Ashe gebeutelte Gruppe aus dem Yellowstone zurückkehrte. Als sie für einige Augenblicke dachte Ben hätte es nicht mit rausgeschafft, weil sie sein warmes gelbes und deutliches Leuchten nicht mehr sehen konnte. Es wäre nicht so schlimm gewesen wie Mara zu verlieren, aber alles in ihr hatte gegen den Gedanken rebelliert, Ben ein zweites Mal verlieren zu müssen. Als er aus dem gepanzerten Wagen ausstieg war sie erleichtert. Und im nächsten Moment zutiefst erschrocken. Sie wusste, dass Ben weniger stark sein würde nachdem Ashe getötet wurde. Dass sein Pakt mit ihr gebrochen sein würde. Aber er hatte noch mehr geben müssen.
Die darauf folgende Nacht hatte sie Keziah und Ben eine Blase astraler Ruhe gehüllt und Ben hatte geweint wie Keziah es in ihren gemeinsamen 19 Jahren noch nie erlebt hatte. Seitdem hüllte sie ihn kontinuierlich in eine astrale Umarmung, die ihn schützen und geliebt fühlen sollte.
“Und ihr habt euch das wirklich gut überlegt? Wieder getroffen und in ein paar Wochen den Entschluss gefasst wieder zusammenzuziehen? Ein gemeinsames Leben zu führen? Einfach wieder lieben gelernt? Weiß nicht ob ich das mit John könnte wenn er mich so sitzen lässt.” FiFi ließ sich neben Keziah auf einem Barhocker nieder, das Baby vor sich fest in eine Trage verschnallt. Der Kleine sabberte gerade glücklich an einer Plüschschildkröte herum mit einem “Snapper” Halsband um den Hals.
Keziah blickte sich routiniert im Raum um. Gerade schien sie niemand anderes hören zu können.
“Ich weiß nicht ob ich jemals wirklich aufgehört habe… Er war da, wir haben unsere Differenzen geklärt und dann… war alles irgendwie wieder wie früher.” Ein zurückhaltendes Lächeln zog sich über ihre Lippen. “Ich hatte mir nie ausgesucht ihn zu verlieren. Aber ich konnte mir aussuchen ihn wieder bei mir zu haben.”
Die Menschin neben ihr guckte gerührt und erschrak als das Baby laut und glücklich quietschend die Schildkröte zu schütteln begann.
“Warum Ben, Keziah?!” FiFi begann neben ihr mit dem Baby zu tanzen um es weiter bei Laune zu halten.
Die ehemalige Elfe schüttelte den Kopf. “Ich weiß es wirklich nicht.” Sie lachte. “Vielleicht weil er der erste war? Vielleicht weil er versteht wo ich herkomme? Vielleicht auch einfach weil ich Drama mag. Und mit Ben hat man nie genug Drama.”
“Und eure Geschäfte?” Vom oberen Stockwerk drang nun etwas Gepolter, welches die Frauen zu überhören versuchten.
“Uns schwebt da schon etwas schönes vor.” Ihre langen roten Finger vergrößerten ein ARO vor der Mutter auf dem groß in schnörkeliger Schrift “Whiskey and Witchcraft” stand.
“Oben wird es eine geschmackvolle Bar, vielleicht mit kleiner Bühne für Mara. Ich kann weiterhin meinen Geschäften nachgehen wie bisher. Im Keller darf Ben machen wie er will. Keine geteilten Kontakte, nur ein ungefähr geteiltes Netzwerk. Keine geteilten Geschäfte. Jeder macht was er möchte, wo er möchte. Der Laden kommt vermutlich nach Portsmouth. Von da aus kommt man mit dem Wassertaxi recht gut an unsere Insel…” Keziah hielt ein. Vor ihr kam Mara mit gepackten Taschen laut die Steintreppe herunter gerannt. Ihre Freundin folgte ihr und versuchte sie zu halten, ohne Erfolg. “Mara warte! Das kann bestimmt alles geklärt werden jetzt sei nicht so wüt…” Mara beachtete Daisy mit keinem Wort.
“KEZIAH!” Die Schnitterin schrie so laut, dass das Baby in FiFis trage zu wimmern begann. Doyle eilte herbei um seiner neugierigen Frau den weinenden Säugling abzunehmen.
Keziah blieb so ruhig sitzen wie sie konnte. Daisy starrte die gepackten Taschen an die Mara im Flur auf den Boden geschmissen hatte. Ben stand auf und blickte aus dem Wintergarten zurück in die Wohnung, ob seine Partnerin Unterstützung wollte.
Mara knallte vor Keziah einen Brief mit Stempel der offiziellen Behörden von Tir Tairngire auf den Tresen. “ERKLÄR MIR DAS.”
Keziah überflog den Brief welcher augenscheinlich bereits vor einigen Jahren ausgestellt worden war und auf nach Blumen und Karamell duftendes Papier gedruckt worden war. Der interessante Teil war gefettet worden:
Als Paladinin sind Sie befähigt die Vermissten-Kartierungs-Einrichtung des Tír zu nutzen. Wir möchten Ihnen das Ergebnis Ihrer Suche nach Lúthien Melian Rinelle des Herbsttrachtenhofes mitteilen: Leider ist unsere geschätzte Mitbürgerin nach einem Zwischenfall im Jahr 2065 in Denver, bei dem die Beteiligung mehrerer unlauterer Parteien vermutet wird, für tot erklärt worden. Leider kann die Tír Regierung sich nicht selbst um die Verfolgung dieser Parteien kümmern, aufgrund von Engpässen in den Regierungssitzen. Anbei übermitteln wir Ihnen die Liste der Parteien zur Selbstrecherche: Der Großdrache Ghostwalker, Caimbuel Har’lea’quinn, Aina Dupree, Keziah Mason, Benjamin Kendall. Wir wünschen Ihnen viel Glück bei der Suche nach Antworten. Gerne stellen wir einen Kontakt zum Herbsttrachtenhof in der Seelie-Ebene her.
Keziah wurde kalt. Sie holte tief Luft. “Mara ich…”
“DU WUSSTEST ES! ALL DIE JAHRE WUSSTEST DU ES, DASS SIE TOT IST! DASS ICH NIE DIE KONFRONTATION MIT IHR KRIEGEN WÜRDE DIE ICH WILL! UND DU HAST MIR KEIN WORT GESAGT!! WARST DU DABEI?!”
Keziah hielt inne. Blieb stumm. Die Metas um sie herum zogen sich mehr und mehr zurück. Nur Daisy und Ben blieben in unmittelbarer Nähe stehen.
Die Schnitterin war rot angelaufen, sah animalischer aus als sonst. Ihre sonst so großen freundlichen blauen Augen wirkten fast schwarz. Ihre Schultern bebten wütend.
“Mara ich… Ich war nicht nur dabei. Ich war es die deine Mutter töten musste. Sie hat Dinge getan, die uns alle…”
“DU. DU hast es nich verdient dich zu rechtfertigen!! Du wusstest 12 Jahre lang dass meine Mom tot ist. 5 davon bin ich jetzt bei dir! Du wusstest wer sie war und was sie gemacht hat. Und du hast mir nie ein Wort davon gesagt. Sowas macht eine Mutter nicht Keziah! Würdest du das für dein Baby tun?!”
FiFi an die diese Frage gerichtet wurde, während sie neugierig um eine Ecke lugte, starrte die Schnitterin verschüchtert mit großen Augen an. “Ich…äh… ich…”
“SIEHST DU?! WÜRDE SIE NICHT. Und deshalb KANNST du nicht meine Mama sein! Und ich will dich auch nicht mehr! Nicht in meiner Nähe, am liebsten nicht mal auf dem gleichen Kontinent!!” Sie zückte mit leisem mechanischem Klacken eine Cyberkralle und durchtrennte das von Keziah als magischer Fokus angefertigte Freundschaftsbändchen, welches Keziah stets verraten hatte wo Mara sich befand, und knallte es ihr auf den Tresen. In Maras Blick lag weiterhin tiefe Verbitterung. “Ich will dich niemals wiedersehen, Keziah Mason.”
Dann stürmte sie aus dem kleinen Barbereich und schnappte sich die auf den Boden geworfenen Taschen. Daisy sah verunsichert und eingeschüchtert zwischen Ben und Keziah hin und her. “Ich… Ehm… Sie beruhigt sich vielleicht irgendwann wieder…”
“DAS WERDE ICH NICHT.” brüllte die Elfe die die Haustür auf- und dabei nahezu aus den Angeln riss.
“Falls doch… Ruf ich euch an. Aus dem Ben Kendall Kräutergarten wird wohl nichts. Ich werd Jazz erzählen wie es uns geht” die Menschin umarmte Ben. “Pass mir auf das Casino auf ja? Und… kommt vielleicht nicht nach Maine…”
Keziah blickte weiterhin verbittert auf den Brief vor sich. “Ich schicke euch ihre ganzen Unterlagen…” Ihre Augen füllten sich mit Tränen. “Ihre Fallbärspeichelbehandlung darf nicht abbrechen Desiree…”
“Ich weiß.” Daisy lächelte gequält. “Ich pass auf sie auf. Naja eher sie auf mich. Wir passen auf. Du hörst ja von der Tour.”
Keziah nickte, dann schob Daisy sich mit einem Nicken an Keziah und Ben vorbei, verabschiedete sich ruhig vom Rest und schloss hinter sich die Tür des AirBnB.
FiFi atmete tief durch. “Also… Wenn sie euch auf diesem Kontinent nicht haben will… Ich glaub Europa freut sich auf euch! Dann sind wir doch ne richtig coole Clique da drüben.”
Keziah tupfte sich mit einem Seidentaschentuch eine Träne aus dem Augenwinkel und blickte Ben an der auf sie zu schritt um sie zu umarmen. “Neu Monaco oder Barcelona?”
“Aaaaargh… Johnny Spinnrad und ich konnten noch nie so gut…” Ben rieb sich den Bart.
“DANN BLEIBT BLOß WEG.” Rief Doyle mit dem sich langsam beruhigenden Säugling aus der Küche.
“Also Barcelona. Ich rufe Jazz an. Vielleicht hat sie bereits eine nette kleine Gastronomie-Immobilie in La Barceloneta abzugeben. Und mit dir vor Ort wird Holliday auch nicht so langweilig.”
Sie lächelte erneut und lehnte sich mit dem Kopf vorsichtig an Bens Brust. Dann überkam sie ein tiefer Weltschmerz über das was sie verloren hatte.
“Denkst du nicht, dass Jazz herausfinden wird, dass du sie an die Einwanderungsbehörde verpfiffen hast, weil sie das mit Maras Mutter wusste und du verhindern wolltest, dass genau das hier passiert?” fragte Ben sie über DNI. ”Woher weißt du das, Ben?”. Der Mensch zuckte mit den Schultern. ”Ich kenne dich jetzt lange genug.” Die Elfe seufzte kaum hörbar. “Bitte nur eine Krise zu jeder Zeit.” gab sie leise zurück.
Zwei Wochen später - Scott Island - Maine
Daisy stellte keuchend einen Umzugskarton auf dem Boden ab. Sie befand sich in ihrem Rigger Parterre. Ihrem persönlichen kleinen Traum. Vor sich eine Werkbank, mehrere Schreibtische mit großen Monitoren und ein großes Panoramafenster mit Blick auf den kleinen Anleger und die See. Auf den AROs standen die ersten Informationen zu ihrem neuen Job der bald starten würde.
Sie hielt weiter Kontakt mit Jazz, Nayad, mit Doyle, mit Ben. Maras schlimmster Ärger war zwar inzwischen etwas abgeklungen aber sie hielt keinen Kontakt mehr zu der Gruppe seit sie in Maine waren. Nicht einmal zu Jazz. Daisy wusste, dass das was Mara jetzt wusste, Zeit brauchen würde um es zu verarbeiten. Und die ließ sie ihr. Sie erkundigten sich weiter nach einem Musiktherapeuten für sie. Der würde helfen.
Durch die angelehnte Tür hörte sie leise wie Mara mit ihren anderen Bandmitgliedern und ihrem Aufnahmeleiter im oberen Stockwerk für die kommende Tour probten und sie musste lächeln. Dann griff sie ein kleines herumliegendes Kommlink von Renraku aus schwarzem Plastik und schob die Tür die in die Panoramafenster eingelassen war auf.
Sie durchschritt den Garten vorbei an dem Fallbär-Gehege in dem Milli und Vanilli, das Fallbärpärchen über welches Mara sich riesig gefreut hatte, glücklich an Eukalyptus und einem halben Huhn nagten. Der Speichel lief wie geplant in ein kleines Auffangbecken, aus welchem sie ihn sammeln und Mara jede Woche injizieren konnten.
Am Ufer des Meeres zog Daisy sich einen Liegestuhl zurecht und ließ sich auf selbigen fallen. Sie paarte das alte Kommlink mittels Adapter mit ihrer Headware und wählte Datei “058 - Für deinen Ausstieg.”
Sie atmete tief durch und drückte auf Play.
In dem Video welches vor ihrem inneren Auge erschien sah sie eine zierliche japanische Elfe mit schwarzem Haar die an der Kamera rumfummelte und sich anschließend neben einen großen und breit gebauten Elfen mit karamellbraunem Haar fallen ließ.
“Und du bist sicher dass es aufnimmt?” sagte der Mann grinsend.
“Nur weil ich ein Mal vergessen habe Play zu drücken.” die Frau streckte dem Mann die Zunge raus und sie küssten sich. Daisy presste die Lippen zusammen.
“Hi Desi! Wir sinds mal wieder! Deine Eltern.” Der Mann grinste in die Kamera.
“Sie weiß wer wir sind Noah!” Die Elfe lachte.
“Jaaa… Gut. Hör zu. Das hier ist für… Für den Tag an dem du die Schatten hinter dir lässt. Glaub mir, niemand weiß besser als Mom und ich wie schwer das ist. Man trifft in den Schatten großartige Leute. Leute die für das gleiche kämpfen wie man selbst. Und man weiß, dass man gemeinsam fürs Gute kämpft. Diese Leute werden zur Familie, und Familie zurückzulassen ist das schwerste was man machen kann. Mom und ich wissen das. Wenn du das hier siehst, waren wir so blöd und haben weiter gemacht. Unserer Schattenfamilie zuliebe. Und dich - unsere richtige Familie und das wertvollste, dass Mom und ich je hatten - hinter uns gelassen. Aber das weißt du ja schon aus Band 001. Hier… Hier wollen Mom und ich dir einfach gratulieren. Dafür dass du stärker warst. Stärker als wir. Und wie wir dich kennen hast du wirklich hart dafür gekämpft und dir alles hart erarbeitet. Bestimmt wirst du jetzt… Weltraumforscherin! Oder Meeresbiologin die mit der Seedrachin Karten spielt! Oder erforschst ein seltenes Volk der Merrow oder Nagas. Oder bist die Chef-Archäologin bei der Draco Foundation! Oder Formel Eins Mechanikerin!” Daisy musste lachen als eine Träne über ihre Wange lief.
Die Japanerin ergriff das Wort. “Auch wenn du Bäckerin bist, Lehrerin oder Zoowärterin… Wir… Wir lieben dich Desiree. Und wir sind unfassbar stolz auf dich, egal welchen Weg du gewählt haben magst. Wir sind immer da. Ja? Aber das weißt du bestimmt. Mom und Dad freuen sich, dass du deinen Frieden außerhalb der Schatten gefunden hast.” Die beiden lächelten warm in die Kamera und die Aufnahme zeigte an dass sie zu Ende war.
Daisy stöpselte sich aus und ihr Blick glitt über die Sonne, welche sich über der Meersoberfläche langsam dem Horizont zuneigte, weiter in Richtung der Insel die Ben und Keziah gehörte und die jetzt leer stand.
Hinter ihr an dem kleinen weiß getünchten Holzhaus öffnete sich ein Fenster. „DAAAAISYYY? Kommst du rein? Wir haben nen neuen Song angespielt. Den MUSST du hören!!“
Ihr wurde warm als sie Maras aufgeregte Stimme hörte und sie lächelte, packte das Kommlink weg und stand auf.
Ihr eigenes bisschen Frieden außerhalb der Schatten. Darauf hoffte Daisy felsenfest.